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Alte Zöpfe?

Zöpfe rufen vielerlei Assoziationen wach: Weizenblondheit, vorpubertäre Schlenkerzöpfe, Gretchenfrisur, Glaubenszwiebel, Mozart- und Chinesenzopf, auch die Vielzahl eingewebter künstlicher Zöpfchen, die wie Rastafrisuren den Eindruck von Langzopfigkeit vermitteln.

Der Zopf seinerseits lässt flechten assoziieren. Ein hochsprachliches Synonym für Zopf lautet Flechte. Dazu gibt es noch das Substantiv Geflecht, Verknüpfung, von flechten als ähnlich verfestigende Tätigkeit wie das Knüpfen und Knoten. Durch Flechten und Verflechten wird Stabilität erzeugt. Das drückt sich auch in der haptischen Struktur eines Zopfes aus.

Metaphorisch verwendet man das Verb flechten, um auszudrücken, dass Dinge schwer voneinander zu trennen sind.

Das Verb flechten ist unregelmäßig, ähnlich wie treten und geben in der Ablautbildung von >e< zu >i< der 2. und 3. Person Singular, Präsens: flechten, du flichtst, er flicht, flocht, geflochten.

Zopf, mittelhochdeutsch zopf für Haarflechte, ist verwandt mit Topp, englisch top, Spitze, Gipfel, Wipfel auch mit Locke, Haarbüschel.

Das Abschneiden alter Zöpfe ist ein Bild für den Abschied von veralteten Ideen. Es entstammt der Französischen Revolution, die bezopfte Perücken als überholt und rückständig abschaffte. Frauen, die sich die Zöpfe oder das lange Haar abschneiden, signalisieren damit: “Ich habe mit meinem Äußeren auch meine Einstellung verändert. Ich fange neu an.”

Zopfstil, Bezopftheit bedeutet ein Verhaftetsein in vergangenen Epochen. Das waren zunächst die gepuderten, staubig-muffigen Perücken. Darauf zu verzichten wirkte zweifellos ähnlich befreiend wie das Ablegen des Schnürkorsetts.

Die Männerzöpfe waren keine Flechten, sondern mit einer Schleife zusammengebundenes Haupthaar. Das nennt man heutzutage Pferdeschwanz - in Anlehnung an den langhaarigen Schweif des Rosses, der dazu dient, Insekten zu vertreiben.

Beiderseitig zusammengebundenes Haar, wie es kleine Mädchen als erste weibliche Frisur tragen, heißen Rattenschwänze. Dabei haben sie gar keine Ähnlichkeit mit den kahlen, langen Schwänzen der ungeliebten Nagetiere. Der Name dürfte daher rühren, dass kindliche Rattenschwänzchen noch sehr dünn und zart sind.

Der aufgesteckte Zopf - ob echt oder unecht - der in den dreißiger Jahren die mondänen Bubiköpfe verbannte, wurde sogleich im Krieg durch die internationale Mode der mächtigen Tolle abgelöst. Danach wurde er praktischerweise durch ein umgekehrt geknotetes Kopftuch, die typische Kopfbedeckung der Trümmerfrauen und der Putzfrauen in der Nachkriegszeit ersetzt. In der Mode der fünfziger Jahren fielen die langen Haare zugunsten der aufkommenden Dauerwelle. Mädchenträume verwirklichten sich durch den Tausch der braven langen Zöpfe gegen flotte Rock n’Roll-Frisuren à la Conny Froboes.

Ein Zopf ist ein Flechtwerk. Es ist mehr als ein bloßes Winden. Zum Flechten werden drei Strähnen benötigt, denn nur zwei ineinander gedrehte lösen sich in kürzester Frist wieder auf. Man kann aus den stabilen Zöpfen vielseitige und haltbare Frisuren herstellen, die nicht in Verwirrung geraten, um fliegende Haare zu entlassen. [1]

Das Kämmen und Einflechten langer Haare ist ein mühevoller, für kleine Mädchen auch unangenehm ziepender Prozess, der heutzutage durch Haarspülung zu mildern ist. Das Frisieren war früher ein täglich einmaliges Ereignis. Gerade für arbeitende Frauen in Haus- und Landwirtschaft war ein derart gebändigter Haarschopf unabdingbar.

Das wallende Haar ist in der Literatur oft mit Verhängnis verknüpft: Absalom, Sohn König Davids, bleibt mit seinem langen Haar an einem Ast hängen und fällt dadurch seinen Häschern in die Hände ( 2. Buch Samuel, 18, 32 -19, 3). Auch der böse Zwerg, der Hüter des unterirdischen Schatzes, wird Opfer seiner Eitelkeit in dem Grimm’schen Märchen “Schneeweißchen und Rosenrot”. Die von einer bösen Hexe in einem unzugänglichen Turm gefangengehaltene Jungfrau “Rapunzel” muss den langen Zopf als eine Art Strickleiter für die ungeliebte Ziehmutter herablassen. Als diese den Betrug mit einem Liebhaber bemerkt, schneidet sie den Zopf ab und schickt das schwangere Mädchen in die Wüstenei. In dem Märchen von der Prinzessin “Allerleirauh”verbirgt diese ihre verführerisch-goldene Haarfülle unter der Kapuze des Rauhfellmantels, um sich nicht den Verfolgern des inzestuösen Vaters zu verraten.

Der folgende Reim aus dem Märchen von der Prinzessin, die als Gänsemagd verkannt von dem Jungen Kurt gefoppt wird , so dass ihre Frisur sich löste, illustriert das alltägliche Flechten langer Haare:
Weh’, weh’ Windchen,
nimm Kurtchen sein Hütchen,
bis ich mich geschnatzt
und wieder aufgesatzt.

Anders als bei “Harry Potter”, wo der “Schnatz” ein Kunstwort für eine Art Wurfgeschoss eines dreidimensionalen Feldspiels ist - bedeutet schnatzen sich das Haar aufstecken, flechten. Die fertige Fisur, der Schnatz, der Kopfputz, wurde anschließend mit einer gebundenen Kappe - rotkäppchengleich - mit einer fraulichen Haube oder einem ländlichen Kopftuch bedeckt - aufgesetzt.

Es gibt eine Vielzahl von kunstvollen Flechtwerken der Haare. Die kindlichen beiderseitigen Zöpfe sind die Frisur, die sich Mädchen schon bald selbst herstellen können. Aus den Zöpfen lassen sich schließlich Schlaufen - “Affenschaukeln” - binden, und sie lassen sich, je nach Länge, um oder über den Kopf legen und feststecken.

Die letzteren sind die klassischen Gretchenfrisuren. Sie sind benannt nach dem Mädchen, das sich dem Doktor Faust hingibt. Gretchen ist das Urbild der frommen Unschuld in dem tragischen Legendenstoff von dem leidenschaftlichen Gelehrten, der um der letzten Erkenntnis willen seine Seele dem Teufel verkauft.

Auch ein einzelner Zopf im Nacken oder am Hinterkopf braucht schon Übung oder Hilfe. Er kann je nach Länge zu einem Koten oder Dutt festgesteckt werden.

In den sechziger Jahren kam die leicht nachzumachende Mode des Einzopfs für junge Mädchen auf. Das ist ein asymmetrisch geflochtener Zopf, der über eine Schulter hängt.

Kompliziertere Zopfgebilde entstehen, wenn man ein Kränzchen, einen Französischen Zopf oder gar einen unterwärts geflochtenen Holländischen Zopf, der an eine Weizenähre erinnert, flicht. Dazu werden den Flechten immer wieder von neuem Haarsträhnen hinzugefügt, was das Flechtwerk eng und stabil am Kopf hält. [2]

Eine ganz andere Verwendung findet das Flechten in der Backkunst. Da ist besonders der Osterzopf hevorzuheben, ein süßes Hefegebäck, das dem jüdischen Brauchtum des Verzehrs ungesäuerten Brotes zum Passahfest entstammt. Das geflochtene Backwerk, glänzend mit Eigelb bepinselt, mit Mandelblättchen, Hagelzucker oder Mohn bestreut, wirkt besonders verlockend. [3]

[1] Brigitte.de - Knoten, Zöpfe & Hochsteckfrisuren [1] HairWeb.de - “Junge” Zöpfe …

[2] Anleitung zum Flechten komplizierterer Zopfgebilde

Der französische Zopf

Für den französischen, anliegenden Zopf wird das lose, lange Kopfhaar in linke, rechte und obere Haarpartien eingeteilt und gekämmt. Von den oberen Haarpartien ausgehend, flicht man einen Zopf, bei jedem Schritt wird Haar von den rechten und von den linken Haarpartien mit eingeflochten, nachdem die linken beziehungsweise rechten Haarstränge über den mittleren Haarstrang gereicht wurden.

Der holländische Zopf

Beim holländischen, aufliegenden Zopf wird hingegen bei jedem Schritt der linke beziehungsweise rechte Haarstrang nicht über den Mittelstrang hinweggereicht, sondern unter ihm hindurch.

Zopfkränze und romantische Looks

(Es) entstehen auf beiden Seiten des Scheitels auch kleinere zwei- oder dreisträngige Zöpfe. Zu Zopfkränzen zusammengesteckt und mit einem eingeflochtenen, passenden, farbigen Band geziert, entsteht eine romantische, märchenhafte Frisur.

Optikur.de: Zöpfe - sportlich, romantisch oder verspielt tragbar

[3] kochschlampe.blogg.de - Osterzopf

Gunhild Simon
27.10.2008

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