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Altweibersommer

Die Zeit der letzten warmen Tage im September ist oft eine stabile Hochdruckphase, die der Bauernkalender Altweibersommer nennt. Im verklärten Spätsommerlicht wehen lange Spinnfäden durch die Luft und glitzern von diffusen Strahlen getroffen hier und da auf.

In dieser Zeit machen sich Spinnen auf den Weg -mit unbekanntem Ziel. Sie erklimmen einen hochgelegenen Punkt, produzieren einen Spinnfaden und lassen sich an ihm durch die Thermik, die dem warmen Boden zu verdanken ist, erfassen. Die Luftströme tragen sie in großen Höhen auf unsichtbaren Schwingen fort.

Die Morgennebel benetzen nach den klaren, kühlen Septembernächten auf Wiesen und Weiden, zwischen Gräsern und Zweigen die über Nacht entstandenen Spinnfäden, Radnetze und Baldachine. Die Sonne lässt sie im Morgentau wie Perlenschnüre aufglänzen. Diese poetische Anmutung machte die Gespinste im Volksglauben zu Werken von Elfen und Zwergen.

Der Vergleich der flirrenden, vergänglichen Spinnfäden mit den dünnen, silbernen Haaren alter Frauen, die früher das lange Haar zu einem strengen Knoten steckten, hat den wehmütigen Namen Altweibersommer hervorgebracht.

Im Süden heißt die ausgehende Sommerzeit Witwensommer, der Sommer vor der Einsamkeit und Dunkelheit des zur Neige gehenden Jahres, Bild des Lebenskreises. In manchen Gegenden werden die Spinnfäden auch als Glücksbringer, besonders in den Haaren junger Mädchen, betrachtet. Da heißt es, dass die Hochzeit bald bevorstehe. In Schweden ist das der Birgitta-Sommer. Andere Namen wie Mariengarn, Marienseide oder Marienfäden sind ein Abbild der Legende, die Fäden seien aus dem Mantel der Jungfrau Maria bei ihrer Himmelfahrt verlorengegangen.

Denkbar ist auch ein Vergleich mit dem von alten Frauen gesponnenen Garn. Denn eine weitere Erklärung ist das altdeutsche Wort weiben, weben, das Verknüpfen der Spinnfäden.

Der Sommer vergeht, der Herbst in seiner Farbenpracht und Fruchtfülle lässt die Natur noch einmal aufleuchten, bevor sie sich in scheinbarem Vergehen zur Winterruhe zurückzieht. Für die Jungspinnen bedeutet die Jahreszeit den Aufbruch zu neuen Lebensräumen.

Gunhild Simon
7.09.2008

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