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Anmerkungen zum Unwort des Jahres

Das Unwort des Jahres lautet »freiwillige Ausreise«. Ist »Unwort« das Unwort des Jahres selbst, oder ist gerade dieser Begriff dazu geeignet, auf einen Missgriff aufmerksam zu machen?

Unter Unwort versteht man ein unangebrachtes Wort, das eine Ungeheuerlichkeit in gefälliger Form verhüllt. Ist das Wort »Unwort« in diesem Sinne seinerseits ein Unwort? Ist Un- aus grammatischer Sicht in seiner Rolle als substantivisches Präfix überdies ungrammatisch?

Ein Exkurs in die Grammatik

Die Verneinung wird bei Verben als ein Unterlassen ausgedrückt; dazu verwendet man die Verneinungspartikel nicht, ich gehe – ich gehe nicht. Einige Verben lassen sich auch durch Vorsilben wie miss- verneinen, gefallen – missfallen, verstehen – missverstehen. Bei Substantiven kann man einen Gegensatz ausdrücken. Dies geschieht durch Verwendung kontextuell gegensätzlicher Begriffe, Himmel – Erde, Land – Wasser. Verkehrung des Ausgesagten ins Gegenteil ist eine Funktion von Eigenschaften, Stärke – Schwäche, Dummheit – Klugheit.

Diese lehnen sich bereits an Adjektive, Eigenschaftswörter, an. Adjektive können Gegensätze in gegensätzlichen Begriffspaaren, stark – schwach, dumm – klug, ausdrücken oder durch die Vorsilbe un- verneint werden: fertig – unfertig, glücklich – unglücklich, erquicklich – unerquicklich, bescheiden – unbescheiden.

Deutlicher wird dies an Partizipien, gebildet – ungebildet, erfahren – unerfahren, erwünscht – unerwünscht; umso mehr, wenn sie sich als verneinte Adjektive metaphorisch verselbständigt haben: ungeschoren, unbedarft, unverfroren, unbeschadet, unbeschwert.

Während Nicht-, z. B. in Nicht-Anwesenheit, wertfrei die Verneinung von Anwesenheit, also Abwesenheit, beschreibt, wird die adjektivische Vorsilbe Un- im Zusammenhang mit Substantiven verwendet – etwa Unglück, Unfall, Unheil, um diese inhaltlich zu verändern. Die folgenden Beispiele illustrieren dies: Unwesen, Unverstand, Ungeist, Ungunst, Unfug, Unkosten, Unkraut, Unding, Unkultur, Unhold, Ungeheuer, Ungetüm, Unmensch, Ungemach, Unbehagen, Unwillen, Unwetter, Unzahl, Unzeit

Solche Substantive mit der Vorsilbe Un- haben sich gegenüber ihrem Ausgangswort in ihrer Bedeutung verselbständigt. Meist drücken sie eine negative Bewertung aus. So gesehen fungiert das Präfix Un- hier als Wortbildungsmittel. In diesem Lichte betrachet ist der Begriff »Unwort« grammatisch und inhaltlich berechtigt.

Gunhild Simon
08. Februar 2007

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