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Déjà-vu und Jamais-vu

Französisch war in Preußen die Sprache der gebildeten Schicht. Zurückgeblieben sind viele französische Fremdwörter, die mittlerweile veralten. Eines jedoch ist offenbar unersetzlich, denn es ist kaum mit einem einzigen Wort wiederzugeben. Auch im Englischen und Spanischen lautet es wie im Deutschen: Déjà-vu. Das bedeutet “schon mal gesehen”. Eine andere Bezeichnung lautet Fausse reconnaissance, falsches Wiedererkennen.

Es beschreibt das seltsame Phänomen einer Erinnerungstäuschung. Man empfindet eine Situation so, als sei sie einem genau so bereits einmal begegnet. Die Bezeichnung wird Napoleon zugeschrieben, der vor der Schlacht bei Jena beim Anblick des feindlichen preußischen Heeres im Morgendunst diese Bekanntheitsempfindung beschrieb.

Das besondere Merkmal einer solchen Vorstellung ist die Überzeugung, den weiteren Verlauf des Erlebten vorhersagen zu können. Es ist das paradoxe Empfinden, die Zukunft wie aus einer früheren Erfahrung zu kennen. Idee und Ausblick verflüchtigen sich jedoch innerhalb weniger Augenblicke. Zurück bleibt das eigentümliche Gefühl, wie aus einer anderen Inkarnation wieder aufzutauchen.

Auch Goethe beschreibt in “Dichtung und Wahrheit” ein solches Erlebnis. Als junger Mann hatte er während eines Rittes die Vision einer Begegnung mit sich selbst als älterem Mann. Dieser Begebenheit folgte nach Jahren eine Rückkehr zu diesem Ort. Hier bemerkte er zu seiner Verblüffung, dass er die gleiche Kleidung trug wie in dem Bild seiner Erinnerung.

Ein Déjà-vu ist wie eine kurze Reizung. Ein Bild blitzt auf und versinkt wieder. Es ist wie der Blick auf ein Trugbild, das einem im Moment der Entspannung des Auges zuteil wird und beim nächsten Wimpernschlag versinkt. Oder wie ein Blick durch einen Spiegel, bevor man merkt, dass er plan ist und dahinter keine andere Welt liegt. Ein Kennzeichen des Déjà-vu-Bildes ist die Unwiederbringlichkeit. Spurlos geht es an den erstaunten Augen vorüber. Man glaubt etwas wiederzuerkennen, seinen Fortgang zu kennen, während die Vision sich bereits als Schatten einer Erinnerung verflüchtigt.

Die neurologische Auffassung darüber, wie ein Déjà-vu-Ereignis genau zustandekommt, ist nicht vollends geklärt. Es scheint so, als sei es eine geringfügige Fehlschaltung bestimmter Synapsen, die unbewusste Wahrnehmungen, deren Speicherung und Abgleichung mit realen Situationen steuern. Im Zustand von Abgespanntheit, Emüdung oder Erschöpfung neigt der Geist dazu abzudriften. Vergleichbares geschieht auch in der Aura, der einem epileptischen Anfall vorausgehenden Phase.

Das Gegenstück zum Déjà-vu ist das Jamais-vu. Auch dieses ist wie ein flüchtiges Gesicht, ein Gedankenanflug. Sekundenbruchteile, während derer man in eine unbekannte Welt tritt, indem sich über das Bekannte wie eine Folie ein fremdes, wenngleich identisches Bild legt. Entgegen seinem Wissen empfindet man es jedoch für einen kurzen Augenblick als nie dagewesen. Man kann es vergleichen mit einem spiegelverkehrten oder einem auf den Kopf gestellten Bild. Für einen Moment erlebt man sich in einer unbekannten Parallelwelt.

Gunhild Simon
10.07.2009

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