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Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt

Daniel Kehlmann “Die Vermessung der Welt” - nun endlich nach “Ruhm” und “Lob” lese ich sein Erstlingswerk, einen Roman. Ich habe keine Kritiken im Ohr. Dass er hoch zu loben sei, das stand jedoch schon vor fünf Jahren allenthalben außer Zweifel.

Es sind die Geschichten von Gauß, dem Mathematiker, und Humboldt, dem Naturforscher - es handelt sich um Alexander, obwohl auch der ältere Bruder, Wilhelm, mitspielt. Beiden Brüdern sollte von Haus aus eine große Zukunft beschert werden durch eine gnadenlos perfekte Ausbildung in standesgemäßer Gelehrsamkeit, Sprachen und Naturwissenschaften. Der Ältere, Wilhelm, ist so gefügig, gelehrig und begabt, beherrscht schon mit 15 Jahren sieben Sprachen, was ihn bald in den sicheren Hafen von Ehe und Ehre als dekorierten Diplomaten steuern lässt. Aller wissenschaftlicher Ehrgeiz blieb fortan auf der Strecke gebildeter Repräsentation.

Dagegen befreit sich der scheinbar begriffstutzig in seinem Schatten stehende Jüngere von den an ihm haftenden Eierschalen seiner Unentschlossenheit und entfaltet sich vehement zum Entdecker und Forscher brennendster Passion. Seine Expeditionen in die Ferne machen vor keinen Unbilden halt. Dem wissenschaftlichen Impetus würde er seinen letzten Blutstropfen opfern. Von Moskitos fast ausgesaugt entkommt er auf brüchigen Flusskähnen den Mäulern von Krokodilen, Piranjas, Großkatzen und Kannibalen, erklimmt Vulkankrater, um sich darin abzuseilen, wird von unwegsamen Felsen zerschunden, von Sonne, Frost und Stürzen von Wassern schier überwältigt. Seinen Auftrag verliert er nicht aus dem Blick, seine Messinstrumente, seine Messergebnisse, seine Sammelstücke sind Zeugnis seiner Existenz. Wie ein Wunder ersteht nach jedem Abenteuer ein deutscher Baron in tadelloser Uniform in den höfischen Kreisen der Zivilisation am Fuße der Berge, in den Hafenstädten und jenseits der undurchdringlichen Urwälder.

Gauß indes, aus kleinen Verhältnissen stammend, wäre eigentlich das Leben eines Landarbeiters bestimmt gewesen, entgeht diesem Schicksal durch seine halb zufällige, halb widerstrebende Entdeckung seines Talents durch den verdrießlichen Lehrer. Seine Existenz als genialer Mathematiker stand immer auf finanziell schwachen Füßen, denn so umwälzend seine Erkenntnisse waren, wurden sie wegen seines Mangels an Lebensalter, Würde und Ruhm doch von seinen Lehrern veröffentlicht, die sich selbst damit schmückten.

Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, stellt er seine mathematischen und denkerischen Kräfte in den Dienst der Astronomie. Dennoch war dies alles zu Zeiten der Kleinstaaterei unter Napoleons Herrschaft nicht ganz einfach, weil jeder Umzug in eine andere Stadt bereits einer Auswanderung über Landesgrenzen gleichkam. Seine Familie hat unter seiner wissenschaftlichen Passion gelitten. Zu seinen Kindern fehlte ihm jeder Zugang, die Frau, der sein Herz gehört hatte, starb im Kindbett. Um seine Familie versorgt zu wissen, geht er eine Zweckverbindung ein mit der ihm widerwärtigen Freundin der Verstorbenen. Jetzt ist es der Abscheu vor der ehelichen Gemeinschaft, der ihn aus dem Haus in die erdverkrusteten Stiefel eines Geodäten treibt, eines Landvermessers, der um seiner Vermessungen willen mit allerlei Händel um freie Sicht schier um den mathematischen Verstand gebracht, und in den Irrsinn weltlicher Geschäftigkeit versetzt wird.

Gunhild Simon
Dez 18 2010

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