Thumulla.com

Das doppelte Antlitz der Gewalt

»Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Gebild gestalten«, so Friedrich Schiller in seiner Glocke. Mit dem G8-Gipfel in Heiligendamm gingen zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen gegen Gewalt einher. Sie waren ihrerseits Demonstration staatlicher Gewalt. Staatsgewalt hat die Aufgabe, Sicherheit vor gewalttätigen Übergriffen, vor Gewalttätigkeit, zu garantieren.

Der Gewaltbegriff begegnet uns im Grundgesetz. In der Präambel wird er dem Volk zugeordnet: »In seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen (...) hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.« In Artikel 1 heißt es dann: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.«

Dem Begriff Gewalt wohnen zwei voneinander getrennte Teilbegriffe inne. Sie lassen sich anhand der lateinischen Wörter potentia, potestas und dicio einerseits sowie vis und violentia andererseits verdeutlichen.

Während potentia, potestas und dicio Gewalt im Sinne von Herrschaft und Macht bedeuten, drücken vis und seine Steigerung violentia Kraft und Stärke bis hin zu roher, körperlicher Gewalt, ja, bis hin zum Faustrecht aus. Letzteres ist ein Gewaltbegriff, der jenseits von Rechtstaatlichkeit und Menschenwürde angesiedelt ist, hingegen leitet sich der Gewaltbegriff im Sinne von potentia, potestas und dicio aus der Übertragung, dem Auftrag, der Verantwortung ab.

potentia und potestas enthalten das Verb posse, es bedeutet fähig sein, mächtig sein, kundig sein. Das Substantiv potentia legt das Gewicht mehr auf politische Macht, während das Substantiv potestas den Akzent auf politische Herrschaft setzt.

Auch im Deutschen zeigt sich diese Zweiteilung der Bedeutung von Gewalt in unterschiedlichen Bereichen. Allen mit Gewalt verwandten Begriffen ist das Verb walten als sprachlicher Ursprung gemeinsam. walten bedeutet stark sein oder beherrschen (ahd. waltan, mhd. walten, schwed. valla, lat. valere, russ. vladet).

Daran knüpfen sich unterschiedlich gefärbte Gewaltbegriffe, die teils diesseits, teils jenseits von Barrikaden oder Sicherheitszäunen stehen. Das Spektrum geht aus von walten, über verwalten, bewältigen bis zu überwältigen und vergewaltigen.

Auf der substantivischen Ebene stellt es sich so dar: Der (demokratischen, politischen, staatlichen, höheren, himmlischen) Gewalt oder der Gewaltenteilung, Sachwaltung, Verwaltung, Bewältigung stehen (körperliche, verbrecherische) Gewalt, Überwältigung, Gewaltherrschaft, Gewaltanwendung, Gewaltsamkeit, Gewalttätigkeit, Vergewaltigung gegenüber.

Daraus geht hervor, wie schillernd und präzisierungsbedürftig der Gewaltbegriff in seinem jeweiligen Kontext ist. Eine negative Färbung ist nicht von vorneherein gegeben, was sich an den Verwendungen »verfassungsgebende Gewalt« und »staatliche Gewalt« verdeutlicht.

Kommt es zur Konfrontation zwischen der Exekutive, der ausführenden Staatsgewalt, und gewalttätigen Staatsbürgern, dann ist die Staatsgewalt mehrfach gefordert: Zum einen hat sie Gewalttätigkeiten zu verhindern oder zu beenden, zum anderen hat sie dabei ihrerseits Mittel einzusetzen, die angemessen sind. Deeskalation speist sich aus Kommunikation und Kompromiss.

Gunhild Simon
19. Juni 2007

alle    deutsche Sprache    Gunhild Simon    Startseite(__index)



Thumulla.com    Startseite der Artikel    Links und Werbung    Diskussion    Suche auf dieser Seite