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Dativ oder Genitiv - Warum heißt es “meiner Meinung nach” aber “meines Erachtens”?

Der präpositionale Ausdruck mit eiligen Schritten hat eine sinngleiche Entsprechung im Genitiv: eiligen Schrittes. In dem Satz - Mit eiligen Schritten - oder - Eiligen Schrittes verließ er das Haus - ist dieser jeweils ein modales Adverbiale. Es gehört zu dem Verb gehen.

Denn die Frage lautet: Wie geht er? eiligen, gemessenen, schnellen, trippelnden, unsicheren Schrittes.

Würde man jedoch bei großen oder kleinen Schritten anders entscheiden - mit großen, kleinen, langen, kurzen Schritten gehen Offenbar befinden wir uns hier in einem Bereich des Sprachempfindens, sogar des Idiomatischen.

Genitivische Ausdrücke, wie etwa leichten oder schweren Herzens, guten oder schweren oder leichten Mutes oder guter oder schlechter Laune, hoher oder niederer Gesinnung sein oder etwas tun - lassen sich nicht in eine Regel kleiden, denn andere Gefühlsbewegungen passen sich dem Genitiv nicht an: man ist von großer Traurigkeit, Erregung oder Freude, wie man etwas mit großer Freude oder Trauer tut.

Der präpositionale Dativ ist wohl die üblichere Formulierung. Im gestreckten Galopp, in/mit gemessenem Tempo, auf unhörbaren Sohlen, auf leisen Schwingen, mit taumelndem Gang, mit fliegenden Fingern, mit zitternden Händen mit großer Erleichterung, Enttäuschung, Erregung.

Genitive, die ein Urteil ausdrücken, stehen in der Regel mit substantivierten Verben: meines Ermessens, meines Wissens, meines Erachtens, meines Dafürhaltens, meines Empfindens. Diese sind aber begrenzt, jedenfalls nicht beliebig ausweitbar: *meines Einschätzens, meines Bewertens, meines Wahrnehmens, meines Meinens - das wäre in analoger Vorstellung grammatisch vertretbar, ist aber ungebräuchlich, also klingt es für Muttersprachler falsch.

Der Dativ steht ebenso bei Ausdrücken, die ein persönliches Urteil beschreiben. Funktionssubstantive, die aus Verbstämmen und der substantivischen Endsilbe -ung gebildet sind, werden grundsätzlich mit der Präposition nach, seltener auch mit gemäß, zufolge, dank versehen. Diese haben immer ein feminines Geschlecht, da ist der Dativ formgleich mit dem Genitiv. Dadurch ist der Kasus nicht auf Anhieb deutlich.

Ersetzt man die Feminina jedoch durch maskuline Substantive, wird dieser Umstand offenkundig:

meiner Einschätzung, Bewertung, Erfahrung, Meinung, Würdigung, Erscheinung, Wahrnehmung, Empfindung nach, nach meinem Verständnis, nach meiner Erkenntnis, Vorstellung, Beurteilung, dieser Maßgabe, Vorgabe, allem Anschein nach, dem Grunde nach, aller Voraussicht nach, meinem Empfinden, Dafürhalten nach.

Daraus lässt sich zweierlei ersehen: Der Genitiv überwiegt bei den substantivierten Verben - Ausnahme: allen Anscheins neben allem Anschein nach. Und man kann feststellen, dass Funktionssubstantive grundsätzlich den Dativ nach sich ziehen.

Gunhild Simon
5.01.2009

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