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Der Begriff der Seele

Eine Einladung, die ich im Gemeindebrief der Hauptkirche St. Nikolai am Klosterstern fand:
Mathias Schreiber, Leiter des Kulturressorts beim „SPIEGEL“ und bekannter Autor, hat ein kluges Sachbuch über die Seele geschrieben. Er wird mit dem jungen Theologen Roderich Barth (Berlin) diskutieren, der soeben seine Habilitationsschrift über den Begriff der Seele fertiggestellt hat – die erste theologische Arbeit zum Thema seit langer Zeit.

„Auf der Suche nach der Seele” Mathias Schreiber (Kulturressort DER SPIEGEL) Roderich Barth (Theologe/Berlin) Moderation: Hauptpastor und Propst Johann Hinrich Claussen

In der letzten Ausgabe der ZEIT Nr. 39 vom 18. 9. 08 findet sich auf Seite 61 unter der Überschrift “Das Etwas, das wir sind” eine Rezension des Buches von Mathias Schreiber. “Was von uns bleibt - Über die Unsterblichkeit der Seele”, München 2008.

Der philosophisch-theologische Diskurs, die Erörterung des Seelenbegriffs zwischen einem Kulturjournalisten und einem Theologen, veranlasst mich, die Gedanken, die ich mitgenommen habe, hier darzulegen.

Was ist die Seele?

Es gibt viele Synonyme für Seele. Sie sind mit den verschiedensten Bereichen verknüpft: der Psychologie, der Philosophie, der Literatur und der Theologie. Ja, selbst in der nüchternen Sprache der Demoskopie ist von Seelen die Rede.

Seele, Seelenleben, Wesen, Eigenart, griechisch psyché, Hauch, Atem, lateinisch anima, Hauch, im Gegensatz zu animus, Geist. Der Hauch kommt auch der metaphorischen Schöpfungsgeschichte in der Genesis (2.7) nahe, wo Gott dem aus Erde geformten Menschen seinen Odem, den göttlichen Hauch, in die Nase bläst. Der Atem Gottes, der dem Lehmklumpen Leben einhaucht, ist das Bild, das eine Gleichbedeutung von Seele und Leben herstellt. Im Althebräischen ist Hauch, ruach, Atem, Empfindung sogar identisch mit dem Urlaut des Schnarchens, des Röchelns, das sich der Kehle entringt. Aus diesen Zusammenhängen erhellt sich eine zunächst befremdlich erscheinende Beziehung zwischen Seele, Leben und Kehle. Aus dem Bild des göttlichen Atems in dem durch Gottes Hand geformten Leibe “nach seinem Bilde” schließlich speist sich die christliche Auffassung von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen.

Die Seele ist das Innerste, das Wertvollste im Menschen, so der katholische Katechismus, das, was ihn ausmacht. Es ist eine Kontaktstelle zur Transzendenz, die dem Leben Sinn gibt. Die Seele ist Geist und Geistigkeit, Sinn und Gesinnung, Beseeltheit und Beseligung, Gefühl und Gemüt. Und sogar Mut - jedenfalls der Mut, den man in Zusammensetzungen wie Langmut, Anmut, Gleichmut, vielleicht auch Hochmut, Kleinmut, Großmut, als Stimmung und Charakter findet. Das sind die literarischen Kategorien.

All diese Begriffe beschreiben innere - psychische, nicht greifbare, jedoch fühlbare und spürbare - Gegebenheiten und Fähigkeiten des Menschen. Es sind Potentiale, die Gegenstand der Psychologie sind. Sie sind aber auch Gegenstand des zwischenmenschlichen Empfindens, das jeder Mensch wahrnimmt, auf das er instinktiv und intuitiv reagiert und sich bezieht, das ihn Empathie und Sympathie, Distanz und Antipathie fühlen lässt. Seele ist die Beschreibung der unverwechselbaren Individualität und Einzigartigkeit des Menschen. Sie ist sein Wesen, das, was ihn als Menschen ausmacht.

Niemand kann die Existenz dieser Inbegriffe des Menschen leugnen, denn jedermann spürt sie und bezieht sich darauf - meist jenseits von Berechnung und Überlegung. Die Naturwissenschaft - Neurobiologie und Biochemie, Medizin und Neurochirurgie - kann sie verorten in bestimmten Regionen des menschlichen Gehirns. Jedoch lassen sie sich nicht als Zellen dingfest machen. Sie sind da, aber sie sind unfasslich. Sie sind also nicht vergänglich im Sinne eines der Verwesung unterworfenen Prozesses.

Der Körper, lateinisch corpus, ist der Leib, mittelhochdeutsch lip, althochdeutsch lib, ganz offenkundig verwandt mit Leben, englisch life. Er besteht aus Milliarden miteinander im komplexen Austausch stehenden Zellen. Dieser lebendige Leib ist endlich - zeitunterworfen, vergänglich, verweslich. Verwesen bedeutet den Übergang des Wesens in eine andere Wesenhaftigkeit.

Drückt sich Unsterblichkeit darin aus, dass alle Stoffe in unendlicher Folge sich wandeln? Aus organischem zu anorganischem Material zerlegt werden, von anorganischen Stoffen wieder in organische zusammengesetzt werden, um wiederum als Glied in der Nahrungskette zu dienen, damit sich von neuem Leben aufbauen kann? Kein Leben kann ohne die Zerstörung anderen Lebens bestehen. Nur darauf basiert Leben.

Wenn die Seele nicht diesen irdischen Gesetzen gehorcht, was geschieht mit ihr, wenn der Körper stirbt? Wohin geht sie, wenn der Leib vergeht und seine Stofflichkeit zerfällt, um als Grundstoff wieder in den Lebenskreislauf, dem alles Leben gehorcht, einzugehen? Ist dieser ewige Kreislauf die Unsterblichkeit?

Das Wort Seele, mittelhochdeutsch sele, ist wohl verwandt mit See. Daraus ergibt sich die Grundbedeutung “die zum See Gehörende” , und sie erklärt sich aus der germanischen Vorstellung des Sees als Heimstatt der Seelen von Ungeborenen und Toten.

Der Kreislauf des Wassers, dessen wandelbare Substanz als Bild für die Beständigkeit, Unfasslichkeit, Erneuerung und Unsterblichkeit der Seele dient, trifft sich mit der Idee des Vergleichs der Seele mit dem Wasser, das als lebensspendendes “Element” untrennbar mit dem Leben verknüpft ist.

Johann Wolfgang von Goethe
Gesang der Geister über den Wassern

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen,
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!

Gunhild Simon
19.09.2008

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