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Der Casus obliquus - obliquer Kasus und obliques Objekt

Um einen vollständigen Satz zu bilden, sind zwei Bedingungen zu erfüllen: Einem Subjekt ist ein Prädikat zuzuordnen, z. B. Sie schreibt. Das Subjekt “sie” ist von keiner weiteren Größe abhängig. Es steht im Nominativ. Diese Unabhängigkeit erklärt den Namen des 1. Falles, des Nominativs, als Casus rectus, d. h. gerader, aufrechter, unabhängiger Fall.

Das Prädikat, das vornehmlich aus dem konjugierten Verb besteht, kann wiederum weitere Satzergänzungen nach sich ziehen. Diese beugen sich dessen syntaktischen Anforderungen.

So verstanden regiert ein Verb einen Fall. Verbrektion ist also der Kasus, den ein Verb fordert.

Dieser Theorie gegenüber steht die Auffassung von der Valenz des Verbs. Darunter versteht man die Leerstellen, die ein Verb eröffnet. Zum Beispiel eröffnet beschuldigen zwei Leerstellen, die des notwendigen Akkusativobjekts und die des möglichen Genitivobjekts: Er beschuldigt sie des Mordes.

Da diese Fälle nicht mit dem Kasus des Subjekts, dem Nominativ identisch sind, heißen sie abweichende Fälle. Dies nennt sich fachsprachlich obliquer Kasus, Casus obliquus.

Dem zugrunde liegen das lateinische Adjektiv obliquus und das französische oblique [1] - beide bedeuten schräg, schief, abbiegend, abzweigend. Die verführerische Nähe, die zu obligatorisch [2] besteht, ist ein Zufall, aber kein inhaltlicher Zusammenhang. Es handelt sich folglich nicht um einen pflichtgemäßen, sondern um einen von einer anderen Größe abhängigen und vom Casus rectus abweichenden Fall.

Der oblique Kasus kann also - abweichend vom Subjekt - in einem der drei anderen Fälle stehen. Das Objekt, das so in Abhängigkeit von einem Verb, Adjektiv oder einer Präposition in einem vorgegebenen Fall steht, heißt obliques Objekt. Dafür kommen also ebenso alle drei weiteren Fälle in Frage: Genitiv, Dativ oder Akkusativ. Der oblique Kasus ist also immer ein Objektkasus.

Beispiele:

I. Sie schreibt.
- Hier kommen folgende oblique Objekte in Frage:
1. Sie schreibt einen Brief.
- Das oblique Objekt steht im Akkusativ.
2. Sie schreibt dem Freund.
- Das oblique Objekt steht im Dativ.
3. Sie schreibt an den Pastor.
- Das oblique Präpositionalobjekt steht im Akkusativ.

II. Sie klagt an.
- Hier kommen folgende oblique Objekte in Frage:
1. Sie klagt ihn an.
- Das oblique Objekt steht im Akkusativ.
2. Sie klagt ihn des Missbrauchs an.
- Hier kommt ein weiteres obliques Objekt im Genitiv hinzu.
3. Sie klagt ihn des Missbrauchs an ihrem Vermögen an.
- Die Präposition an verlangt den Dativ.

III. Der Satz bedarf einer Erläuterung.
- Hier regiert das Verb bedürfen ein Genitivobjekt.

IV. Er ist des Schreibens mächtig.
- Das Adjektiv mächtig regiert ein Genitivobjekt.

[1] franz. obliquer - abbiegen, La rue oblique à droite. - Die Straße biegt nach rechts ab.
[2] Vgl. dagegen: franz. obliger - verpflichten, je suis bien obligé - ich muss, ich kann nicht anders

Gunhild Simon
8.02.2009

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