Thumulla.com

Der Genitiv des Personalpronomens

Der Genitiv ist in seiner Aussage und seinem Gehalt an die Idee des Besitzes, des Possessivs, und des Hervorbringens, des Generierens gebunden. Dadurch erklärt sich der Genitiv, der im Neudeutschen als Anglizismus auftaucht und mit einem Apostroph gekennzeichnet wird: der Hut der Mutter, Mutters Hut, *Mutter’s Hut.

Dieser Apostroph war in früheren Zeiten auch in Deutschland als sächsischer Genitiv üblich. Mit der Rechtschreibreform tauchte er wieder auf. Er war zugelassen worden, um Eigennamen klarer zu kennzeichnen, wenn sie durch ein angehängtes /s/ entstellt erschienen. Dies wurde jedoch vielfach missverstanden, beliebig und inflationär gebraucht und sogar auf Plurale übertragen.

Daraus erklärt sich auch die formale Überschneidung von Possessivpronomen und der genitivischen Form des Personalpronomens.

Um dies zu verdeutlichen stelle ich hier die Deklinationsmuster vor:

1. Person Singular: ich, mein(er), mir, mich
2. Person Singular: du dein(er), dir, dich
3. Person Singular: er sein(er), ihm, ihn
sie, ihr (er) ihr, sie
es, sein (er) ihm, es

1. Person Plural: wir, unser, uns, uns
2. Person Plural: ihr, euer, euch, euch
3. Person Plural: sie, ihrer, ihnen, sie
Höflichkeitsform: Sie, Ihrer, Ihnen, Sie

Die Genitive lauten also meiner, deiner, seiner, ihrer, unser, euer, ihrer, Ihrer. Sie sind fast identisch mit den Possessivpronomen, den besitzanzeigenden Fürwörtern mein, dein, sein, ihr, unser, euer, ihr, Ihr. Da sie als Possessivpronomen als einzige Pronomen adjektivische, also attributive Eigenschaften haben, ist der veraltete Begriff besitzanzeigende Eigenschaftswörter [1] eigentlich der genauere, denn auch das deutsche Fachwort Fürwort signalisiert eigentlich einen stellvertretenden Charakter. In Wirklichkeit haben sie jedoch eine doppelte Funktion: Artikelwort nach dem Muster des unbestimmten Artikels ein, eine und Adjektiv, das für eine nähere Bestimmung des Substantivs dient. Diese bezieht sich hier auf die Besitzverhältnisse.

Die Betrachtung der Genitive der Personalpronomen in der 1. und 2. Person Plural sind heute nicht mehr geläufig genug, sodass sich ein Fehler einbürgern konnte, der auf eine Verwechslung von Personal- und Possessivpronomen gründet:

Bei genauer Recherche stellt sich Folgendes heraus:

Die ehemaligen Genitivformen mein, dein, sein und ihr sind untergegangen und nur noch in poetischen festen Fügungen wie “Vergiss/mein/nicht” “Ewig werde /dein/ gedacht, Bruder, bei der Griechen Festen” (Schiller). “/Sein/ bedarf man, leider meiner nicht” (Goethe). Man ist heute geneigt, sie als der Poesie geschuldete Verkürzungen anzusehen.

Aus dieser Anschauung erklärt sich, dass die Formen der 2. und 3. Person Plural mit einer entsprechenden Verlängerung versehen wurden, deren Unrichtigkeit man kaum noch wahrnimmt: “*Was an Not und Qualen unsrer harret …” Hier muss es heißen “… unser harret”.

Selbst Theodor Fontane, den man gern als Zeugen großer Schreibkultur heranzieht, erliegt diesem Irrtum:
“Auf dem rumpligen bergan steigenden Citadellhofe harrten unsrer drei Pferde”. [2]

Hier noch zusammenfassende Worte aus einem alten Grammatikbuch. Sie mögen zeigen, dass die Sorge um den Untergang des richtigen Genitivs keine neue Erscheinung ist.
” … in der ersten und zweiten Person der Mehrzahl ist doch die richtige alte Form noch so lebendig, daß es unverantwortlich wäre, wenn man sie nicht gegen die falsche, die sich auch hier eindrängen möchte, in Schutz nehmen wollte. /Unsrer/ und /eurer/ sind Genitive des besitzanzeigenden Eigenschaftswortes, aber nicht des persönlichen Fürworts. Also: erbarmt euch /unser/ und /unsrer/ Kinder!” [1]

[1] Gustav Wustmann, “Allerhand Sprachdummheiten: Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen”, zweite, verbesserte und vermehrte Ausgabe, Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, 1896, S. 41.)
[2] Theodor Fontane, “Aus den Tagen der Occupation”, “Ein Ritt”; Zweite Auflage, Berlin, 1872, S. 74

Gunhild Simon
1.10.2008

alle    deutsche Sprache    Gunhild Simon    Startseite(__index)



Thumulla.com    Startseite der Artikel    Links und Werbung    Diskussion    Suche auf dieser Seite