Der Rabe – Galgenvogel, Pechvogel oder Unglücksrabe?
Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. So lautet ein Sprichwort. Es drückt aus, dass gemeines Volk, selbst wenn es sich untereinander bekriegt, nach außen zusammenhält. Mit anderen Worten: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Wie kommt diese geringschätzige Meinung über die schwarzen Vögel zustande?
Überlebenskünstler
Krähen sind Rabenvögel. Sie gehören zusammen mit Hähern und
Elstern, auch wenn man es ihnen weder anhört noch ansieht, zu den
Sperlingsvögeln, somit zu den Singvögeln. Schwarzgrau gefiedert und mit
einem kräftigen Schnabel bewehrt sind sie allgegenwärtig.
Wilhelm Busch
»Jetzt aber naht sich das Malheur,
denn dies Getränke ist Likör«
Hans Huckebein, der Unglücksrabe
Unbeeindruckt von städtischer Unwirtlichkeit hüpfen sie umher, finden
sich unvermittelt zu rasanten Tieffluggeschwadern zusammen, schlagen
kooperierend selbst Greifvögel in die Flucht und lassen uns durch ihr
beunruhigendes Geschrei zusammenzucken. Diesem heiseren Gekrächze –
»kräh-kräh« und »rab-rab« – verdanken sie ihren Namen. Weil sie sich in
ihrem Habit untereinander zum Verwechseln ähneln, unterscheidet man kaum
ihre wechselnden Arten: Kolkrabe, Rabenkrähe, Nebelkrähe, Saatkrähe,
Dohle. Rabenvögel sind nämlich keine Zugvögel, sondern Standvögel oder
Strichvögel. Sie machen kleinere Züge, sie wechseln ihre Reviere nach
Futterangebot.
Zwar sind sie vornehmlich Aasfresser – sie verhindern damit die
Verbreitung von Krankheitserregern – genaugenommen jedoch Omnivoren,
Allesfresser.
»Krähenbaum«
Foto: Karin Schumann
© beekeeper / PIXELIO
Wintervögel
Rabenvögel stimmen uns nicht frohgemut. Sie sind keine
Frühlingsboten wie heimkehrende Zugvögel. Ihre Gestalten im trüben
Winterlicht haben nichts Anheimelndes. Sie hocken auf kahlen Bäumen und
nassen Dächern, hüpfen auf vereisten Kanälen und in verschneiten Gärten
umher, streichen über graue Felder und lassen ihr unmelodisches Krächzen
ertönen.
Ihr allmählicher Quartierswechsel bleibt uns verborgen. Auch in
der Zivilisation unserer Städte finden sie ein reichliches
Nahrungsangebot. Das macht sie gerade auch in städtischen Lebensräumen
erfolgreich. Man nennt solche anpassungsfähigen Tiere Kulturfolger.
Intelligenzbestien
In einer Fabel Aesops geht der Rabe den Schmeicheleien des
Fuchses auf den Leim und büßt durch Eitelkeit und Dummheit seine Beute
ein, mit der sich Meister Reinicke davonmacht. Der griechische
Fabeldichter kannte die Raben schlecht, gehören sie doch zu den
intelligentesten Vögeln der Welt. Dohlen sind ein wahres Wunder an
Gelehrigkeit und Kommunikationsfähigkeit. Krähen benutzen Werkzeug, um
ihre Beute zu erreichen. Sie räumen Abfallkörbe aus und füllen Flaschen
mit Steinen, um an den Inhalt zu gelangen. Sie transportieren Stöcke,
die sich als praktikabel erwiesen haben, im Schnabel, um sie wieder zu
verwenden.
»Kolkrabe«
Foto: Marco Barnebeck
© Telemarco / PIXELIO
Der Kolkrabe zeichnet sich durch herausragende Merkfähigkeit und
Intelligenz sowie komplexes Handeln aus. So weiß er sich zu versichern,
nicht beim Verstecken seiner Vorräte beobachtet zu werden. Ein Beispiel
für planvolles Vorgehen und ein Zeichen von der Fähigkeit, sich in eine
fremde Situation einzufühlen.
Galgenvögel
Im Mittelalter war die Anwesenheit der Raben an den Richtstätten
ein typisches Bild. Daher verbindet sich mit ihrer Erscheinung ein
gewisses Grauen. Der Volksmund nennt sie Galgenvögel. Dies ist auch der
metaphorische Hintergrund für die Bezeichnung eines heruntergekommenen
Menschen als Galgenvogel. Dagegen beschreibt Unglücksrabe, Pechvogel,
einen das Unheil gleichsam anziehenden Menschen. Darin spiegelt sich
sowohl das unverschuldete Unglück, das Pech im übertragenen Sinn, als
auch der Vergleich mit dem pechschwarzen Vorbild, dem Raben. Unter einem
Rabenaas versteht man einen niederträchtigen Menschen, einen, der am
Galgen zum Fraß für die schwarzen Vögel geendet ist.
Krächzer
Die Lautnachahmung, die den Namen von Krähe und Rabe als Krächzer
kennzeichnet, zieht sich durch alle Sprachen: Mittelhochdeutsch rabe, raben, englisch raven. Griechisch krázein, lateinisch crocire heißt krächzen, entsprechend kórax, corvus, der Rabe, französisch corveau, italienisch corvo, russisch kravat
– auch der Müllerbursche mit Namen »Krabat« nach der sorbischen Sage in
eine Krähe verzaubert hat dieses Vorbild. »Rappe«, schwarzes Pferd und
»rabenschwarz« sind ein Gleichnis für sein tiefschwarzes Gefieder.
Rabeneltern?
Krähennester, wie man sie im Winter in kahlen Bäumen sieht,
vermitteln keine anschmiegsame Nestwärme. Daran – und an die früher
verbreitete Ansicht, der Rabe stoße seine Jungen aus dem Nest, wenn er
sie nicht mehr füttern will – knüpft sich die Metapher der Rabenmutter.
Zu leicht sitzt man vermenschlichenden Klischees auf, die von eigenen
kleinmütigen Vorstellungen bestimmt sind. Entscheidend aus der Sicht des
Lebewesens ist die Ausrichtung auf Anpassung und damit
Überlebensfähigkeit.
Gunhild Simon
12. Oktober 2007
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