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Die Entdeckung der Currywurst

“Die Entdeckung der Currywurst”, so lautet der profane Titel einer Novelle von Uwe Timm. In der Hamburger gymnasialen Oberstufe eine beliebte Lektüre. Überschaubar vom Umfang, ein Bezug zu der Stadt und ein Lebendigwerden der letzten Züge des Naziregimes. Kriegszeit. Geschichte. Kein Wunder, dass eine ganze Schulklasse sich vor dem Kino traf.

Novelle bedeutet eigentlich “kleine Neuigkeit”. Das ist ein Literaturgenre, eine Erzählung, die in gedrängter Form etwas Aufsehenerregendes mitteilt. Hier ist es eine Begebenheit aus der kleinen Welt einer Frau, die sich im ausgehenden zweiten Weltkrieg in den Trümmern Hamburgs durchschlägt. Diese Begebenheit stellt nicht nur ihr Leben auf den Kopf, sie wird bei genauerer Betrachtung existentiell.

Die Frau ist Lena. Der ungeliebte Mann ist an der Front, der Sohn, fast erwachsen, Flakhelfer im Ruhrgebiet. Lena arbeitet in der Kantine einer Hamburger Behörde.

Zufällig lernt sie einen jungen Marinesoldaten kennen, dessen Wunsch, der Gefährdung zu entgehen, sich mit Lenas Bedürfnis, der Einsamkeit zu entrinnen, deckt. Aus dem gemeinsamen Abend wird eine Nacht, aus der Nacht ein Verhältnis. Lena geht arbeiten, bringt Essen, Zigaretten, mal einen Wein. Der Junge, Hermann, hält sich versteckt in ihrer Dachwohnung.

Es könnte eine Idylle sein, wäre da nicht die ständige Überwachung durch Blockwart und missgünstige Nachbarn. Hermann fühlt sich eingesperrt und abgeschnitten. In dieser Situation die Nerven zu behalten ist für einen jungen tatendurstigen Mann schier unmöglich.

Lena blüht in der Zweisamkeit so auf, dass sie es nicht über sich bringt, Hermann gehen zu lassen, als der Krieg aus ist. Als es sich nicht mehr verhehlen lässt und sie schließlich ihr Schweigen bricht, zieht es ihn fort. Und auch alles andere verkehrt sich unversehens: Die tüchtigen Frauen werden nicht mehr gebraucht, denn es strömen ja die Männer zurück. Auch Mann und Sohn sind unter den Heimkehrern. Lena wird wieder an den Herd zurückgedrängt. Der Sohn ist erwachsen geworden, der Mann ist ihr im Lichte ihrer Kriegserlebnisse entfremdet.

Aber auch Lena hat sich verändert. Sie wirft den Mann hinaus: “Der fällt immer auf die Füße.”

Geschult durch ihre Kantinenerfahrungen, geübt im Tauschgeschäft und gewappnet durch die Erfindungsnot schwerer Zeiten baut sie sich eine eigene Existenz auf, einen Imbissstand, dessen Knüller Bratwurst in Stücken ist. Übergossen mit einer exotischen Soße, die es allen angetan hat: Curryketchup, ein Zufallsprodukt, geboren aus Hermanns Indienschwärmereien und dem unglücklichen Zusammenprall getauschter Ketchupflaschen mit einer Dose Currypulver bei einem Sturz im Treppenhaus.

In der Buchvorlage spielt die Geschichte am Großneumarkt. Im Film ist es der Hafen, die Streben der Elbbrücken und die Fassaden der Speicherstadt, die die unverwechselbare Kulisse des Schauplatzes ausmachen. Der Ausblick ist ein weites Elbpanorama: Der Strom verliert sich.

Barbara Sukowa, die auch “Lola”, “Rosa Luxemburg” und die Terroristin Marianne als unausgesprochenes Synonym für Gudrun Enslin in “Die Bleierne Zeit” verkörperte, hat eine starke Präsenz in diesem unspektalulären Film, der sich bühnengleich überwiegend im engen Raum der Dachwohnung entfaltet. Ihr Partner ist der junge Alexander Khuon, Sohn des Intendanten des Thalia-Theaters Ulrich Khuon.

Gunhild Simon
16.09.2008

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