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Die Vorsilbe ur - beliebig oder unverzichtbar?

Die Vorsilbe ur- hat Bedeutung auf zwei verschiedenen Ebenen. Sie besagt einerseits eine Verstärkung in nahezu beliebigen Neubildungen. Dabei hat sie den Sinn “sehr”: uralt, urkomisch, urdeutsch.

Die andere Bedeutungsebene ist die des hohen Alters. Sie beschreibt, dass etwas aus einer Wurzel, einem Anlass, oder einer Quelle, einem Ursprung, hervorgegangen ist.

Also bedeutet ur- nach einem althochdeutschen Vorläufer, der gleichlautenden Präposition ur, auch aus-heraus, von-her.

Altenglisch ist dies or-. So heißt auch das Erz, der Grundstoff, aus dem Eisen gewonnen wird , englisch ore. Im Deutschen dient erz- als Vorsilbe, die “von Grund auf”, ehern, überaus besagt: erzkonservativ, erzreaktionär, erzkatholisch. Es handelt sich um ein Präfix mit einer verstärkenden Bedeutung.

Bei den Wörtern urtümlich, ureigen, urig, Urwald, Urahn, Urgrund, Urschlamm, Urbedeutung, Urfehde, Urgewalt, Uraufführung, Urabstimmung drückt ur- eine tendentiell tautologische Verstärkung wie “zuallererst” aus.

Die gleiche Vorsilbe bei Erzengel, Erzbischof, Erzherzog und Erzfeind geht auf die griechische Vorsilbe arch- , “oberster, frühester, erster” zurück, wie sie sich etwa in archaisch, frühzeitlich, und Architekt, oberster Zimmermann und Dachdecker, zeigt. In den englischen Wörtern ist dies noch sichtbar: archangel, archbishop, archduke, archfiend, archenemy. Es ist denkbar, dass dieses Verständnis von erz- auf Adjektive übergeht. Das entspräche dann Erscheinungen wie ober- , super- , voll- .

Es gibt noch eine weitere Bedeutungsebene, die sich weniger offenkundig erschließt. Hier handelt es sich auch um die Vorsilbe ur-, jedoch nicht mit einer eindeutig verstärkenden Herleitung. Dies wird an einigen entscheidenden Beispielen deutlich: urbar, Urlaub, Urteil, Urheber, Ursache, Urkunde.

Das Wort urbar kommt vor allem in der Fügung “Land oder Boden urbar machen” vor. Es bedeutet, dass der Boden so bestellt wird, dass er nutzbar, fruchtbar, ertragreich wird. In urbar steckt also das Wort Ertrag.

Die Vorsilbe ur- ist in vielen Beispielen gleichbedeutend mit dem Verbpräfix er-. Das adjektivische Suffix -bar drückt “tragen” aus, sichtbar in gebären, und der englischen Parallele to bear, tragen. Dadurch entsteht eine passivische Bedeutung. Diese erweist sich darin, was die betreffende Sache erfährt, was sie “erleidet”. In diesem Fall erfährt der Boden Ertragbildung.

Die Fügungen “Urlaub geben, ~ nehmen” bedeuteten eigentlich Erlaubnis, also einem Höfling zu erlauben, sich zu entfernen, ihn seines Dienstes bei Hofe zu entbinden. Hier hat ur- ebenfalls die Aussage von er-. So sind auch Urteil und urteilen darauf zurückzuführen, was einem erteilt wird.

Aus der Betrachtung der Wörter, die man nicht zu den Neubildungen zählt, ergibt sich das Folgende:
Ursache ist der erste, der eigentliche Anlass.
Urkunde ist die Quelle, das Dokument, auf die man sich stützt.
Urheber ist der, von dem etwas ausgeht, der Verantwortliche, Verfasser, Erfinder, Autor - aus lateinisch auctor.

In vielen Verben mit der Vorsilbe er- schwingt eine sinngemäße Verwandtschaft zu ur- mit. In Verben, die mit er- beginnen, wird oft die Tendenz ausgedrückt, dass etwas aus der Sicht des handelnden Subjekts von Grund auf erschlossen wird: erobern, erweitern, erwerben, erkämpfen, erarbeiten, erschleichen, erfragen. [1]

Literaturhinweis:

[1] Fritz Mauthner - Sprache und Grammatik - Vorsilbe “er”

Gunhild Simon
30.06.2008

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