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Die Weide - Baum und Grasland

Gibt es einen kulturhistorischen Zusammenhang?

Manche scheinbar abgestorbenen Holzstöcke erwachen, wenn man sie in die Erde steckt, zu neuem Leben. Diesen Umstand machen sich Gärtner, speziell Obstbauer, zunutze, um widerstandsfähige Pflanzen gepaart mit erfolgreichen Sorten zu vermehren. Diese Vermehrung heißt, im Gegensatz zu der generativen Vermehrung durch Samen, vegetative Vermehrung. Die vegetative Vermehrung erzeugt erbgleiche Klone.

In der Baumschule, das ist Heranzüchtung junger Bäume, spielt dieser Umstand eine wichtige Rolle. Auf die aus Stecklingen erzeugten jungen Bäumchen, sie heißen fachsprachlich Unterlage, werden Zweige edler Sorten aufgepropft. Dieses Verfahren heißt Veredelung. So ist es möglich, dass ein Kirschbaum unterschiedliche Blüten hervorbringt, dass eine Kastanie halb rot, halb weiß blüht, dass am Stamm eines Birnbaums Wildtriebe mit Wildblüten hervorsprießen.

Der Baum, die Weide, Salix, begrenzt häufig noch Weideflächen und Feuchtwiesen, die mit Gräben drainiert sind. Auch von Unterspülungen bedrohte Hänge lassen sich so befestigen. Die wasserziehenden, bodenbefestigenden Weidenwurzeln sind in diesen Zusammenhängen hilfreich.

Wie man am Elbstrand bei auflaufendem Wasser beobachten kann, können Weiden auch mit den Füßen im Wasser stehen. Ihre Wurzeln sind weitverzweigt und tiefgründend. Kopfweiden, die sich durch einen knorrigen, zerklüfteten Stamm und durch eine Baumkrone, die wie eine Stachelfrisur anmutend aus aufschießenden Wassertrieben besteht, auszeichnen, erhalten ihre Form durch die langjährige Aberntung der frischen, biegsamen Reiser, aus denen traditionell allerlei Flechtwerk hergestellt wird: Körbe und Stuhlsitze. Die Römer brachten seinerzeit das Flechtverfahren für Zimmerwände nach Germanien: Die aus Weidenzweigen gewundene Wand wurde abschließend mit Lehm verputzt.

Werden nun bei Weidezäunen Pflöcke aus Weidenholz verarbeitet, kann es sein, dass diese auch nach längerer Lagerung wieder ausschlagen. Auf manchen Hamburger Spielplätzen finden sich geflochtene Ökozäune, aus trockenen Weidenruten hergestellt, die sich später wieder begrünt haben.

Weiden sind im Hinblick auf ihre Vermehrung auch noch aus einem anderen Grund interessant. Sie gehören zu den bemerkenswerten Pflanzen, die man getrenntgeschlechtlich zweihäusig nennt. Das bedeutet nicht nur zwei sexuell getrennte Blüten, sondern auch zwei getrennte Pflanzen. So kommt es, dass die mit Pollen versehenen gelbaufgeplusterten Weidenkätzchen männliche Blüten sind, während die weiblichen Kätzchen sich zu unscheinbaren, langandauernden, grünen Gebilden entwickeln. Sie bilden die winzigen Samen aus, wenn die männlichen Kätzchen schon längst vergangen sind.

Die Weiden mit ihren pollenreichen Weidenkätzchen sind die erste “Bienenweide”bei der Futtersuche im Frühling. Daher sind sie besonders zu schützen. Wer sich schon einmal daran versucht hat, einen Kätzchenstrauß zu pflücken, erinnert sich der schier unüberwindlichen Zähigkeit der Zweige.

Etymologisch haben die beiden Begriffe Weide als Baum und Weide als Grasland nichts miteinander zu tun.
Aber auch die mittelhochdeutschen Wörter, die ihnen zugrundeliegen, klingen und sehen einander ein wenig ähnlich, ohne einen inhaltlichen Bezug zueinander zu haben.

Der Baum, die Weide, heißt mittelhochdeutsch wide und bezieht sich auf die Eigenschaft der Zweige, sich wegen ihrer Biegsamkeit zum Winden zu eignen. Sie ist also nach ihren zum Flechten und Biegen dienenden Zweigen benannt. Auch das biegsame Mädchen, das Weib, hat dieselbe Wurzel.

Das Gras- und Kulturland, die Weide, geht zurück auf das mittelhochdeutsche Wort weide, Jagd, Fischfang, Nahrung, Speise, Labung, Futter. Noch erhalten in dem Wort weiden, auf die Weide führen, grasen lassen, und weiter reflexiv: sich weiden, sich laben. Davon abgeleitet weidlich, genussvoll, Augenweide, Labsal für die Augen, und - wie man sah - Bienenweide, nektar- oder pollenreiche Blütenpflanzen.
Den Gedankern der Weide als Labsal der Seele bringen auch die Worte des Chorals zum Ausdruck: “Jesu meine Freude, meines Herzens Weide … ”

Es erklären sich aus dieser Ableitung schließlich ebenso Eingeweide, Futter für die Hunde, ausweiden, die Eingeweide herausnehmen, weidgerecht, jagdgerecht, Weidmann, Jäger. Dass in der Jägersprache viele Bezeichungen, die sich von der Jagd, der Weid ableiten - allem voran: Waidmannsheil! - mit /ai/ statt mit /ei/ geschrieben werden, liegt daran, dass sie sich aus einer bayerischen Schreibweise ableiten.

Webhinweise:

Wikipedia - Weiden (Botanik)

Wikipedia - Weide (Grünland)

Gunhild Simon
28.08.2008

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