Doktorand mit d, doch Praktikant mit t - gibt es eine Erklärung?

Es heißt Doktorand, Diplomand, Proband, Konfirmand und Reverend dagegen Praktikant, Dozent, Patient und Referent.

Zugrunde liegen zwei verschiedene grammatikalische Formen des Lateinischen, die man, um den Status des Geschehens zu verdeutlichen, auch im Deutschen voneinander scheidet.

Das Suffix -and, -end ist eine Ableitung der Gerundivendungen -andus,-  und -endus, a, um, die entweder attributiv oder prädikativ gebraucht werden. Das Schulbeispiel lautet attributiv “puella amanda“, “das zu liebende Mädchen, das liebenswerte Mädchen”, und prädikativ “puella amanda est”, “das Mädchen ist liebenswert”. Im Deutschen klingt “ist ein zu liebendes” so ungrammatisch, dass man es von vornherein mit einem entsprechenden Adjektiv ausdrückt.

Das lateinische Verb probare heißt beurteilen, confirmare heißt befestigen, bestätigen, bekräftigen. Der Proband ist derjenige, der zu beurteilen, einzuschätzen ist, der zu Beurteilende. Der Konfirmand ist der zu Bestätigende, der zu Festigende, als Konfirmant hätte er die Rolle des -bewusst die Taufe - Bestätigenden.

Der Reverend, “Hochwürden”, ein Geistlicher der anglikanischen Kirche, ist ein zu Ehrender, von revereri, verehren. Damit hat es dieselbe grammatikalische Bewandtnis wie mit “der Auszubildende”, ein Wortungetüm, an das wir uns gewöhnt haben, aber die Abkürzung “Azubi” zeugt noch von dem sprachlichen Widerwillen, der sich einst rührte.

Doktorand ist eine gelehrte Ableitung, denn das Wort *doctorare für doktorieren gibt es im Lateinischen nicht. Das Verb docere heißt lehren, unterrichten, doctor ist der Lehrer, der Gelehrte, der Dozent, von docens, lehrend, der Lehrende, ist die Bezeichnung eines Hochschullehrers. Im Deutschen ist Doktor ein akademischer Grad, ein Titel, den man sich durch eine wissenschaftliche Prüfung, die Dissertation, erwirbt. Einer, der im Begriff steht, die Doktorprüfung abzulegen, heißt Doktorand. Ein anderes Wort dafür ist promovieren, von lateinisch promovere, vorwärts bewegen. Genau genommen wird man promoviert - denkbar und logisch wäre es also, von Promovend, der zu Promovierende, zu sprechen.

Auch Diplomand ist eine Rückführung des Verbs diplomieren auf lateinisch-griechisch diploma, Urkunde, eigentlich “zweifach Gefaltetes”. Diplomand drückt also aus: einer, der im Begriff steht, sein Diplom zu machen, ein zu Diplomierender.

Gerundivformen kommen auch in der mathematischen Fachsprache vor. In der Additition ist dies der Summand oder Addend, die Zahl, die zu einer anderen dazuzuzählen ist. In der Subtraktion der Subtrahend, das abzuziehende Element, und der Minuend, das zu verringernde Element, also die Zahl, von der eine Zahl abzuziehen ist. In der Division der Dividend, die Zahl, die durch den Divisor, den Teiler, geteilt wird.

Dagegen wird eine Vielzahl von Fremdwörtern, die einen Vorgang bezeichnen, mit dem jemand befasst ist, mit der Nachsilbe -ant oder -ent versehen. Dies ist eine Ableitung aus der lateinischen Endsilbe, der ein Partizip Präsens* zugrunde liegt: -ans, -antis oder -(i)ens, -(i)entis.

Praktikant geht zurück auf praktizieren, practicare, practicans. Der Patient auf pati, leiden, patiens, leidend. Der Referent ist der Vortragende aus referre, vortragen, referens, vortragend.

In diesem Lichte betrachtet ist so manches Fremdwort - Doktorand und Abiturient - ein gelehrter Latinismus, aber im Grunde ungrammatisch.

*Das Partizip Präsens heißt auf Deutsch Mittelwort der Gegenwart. Aus Mittelwort geht hervor, dass dieses Wort ein Mittel, noch nichts Endgültiges, ist. In der latinisierten Sprache der Grammatik heißt participium, Partizip, Teilnahme. Es ist eine infinite, unfertige Verbform. Das Fertige ist das finite Verb. So nennt man das konjugierte Verb mit einer Personalendung. Ein Mittelwort oder Partizip taugt also als Mittel zu Verschiedenem: zur Herstellung finiter Verbformen in den zusammengesetzten Zeiten oder als adjektivierte Form.

Gunhild Simon
4.07.2008

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