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Dunkle Quellen - vergessen und verlieren

Das Verbpräfix ver-, das vielen Verben vorausgeht, hat keine einheitliche Aussage, denn darin sind unterschiedliche Sprachwurzeln miteinander verschmolzen, die ursprünglich noch eigene Bedeutungen hatten. So kommt es, dass es changiert zwischen Verben des Verarbeitens (verbrauchen), des Verschließens (versagen), des Hinbringens von Zeit (versäumen), des In-die-Irre-Gehens (verlaufen), des Verwandelns (versklaven) und des Versehens (vergüten).

Eigentlich liegt einem präfigierten Verb ein Wort zugrunde, das durch die Vorsilbe modifiziert wird. Manchmal jedoch ist solch ein altes Verb untergegangen.

Beispiele dafür sind vergessen und verlieren.

Das Verb vergessen heißt mittelhochdeutsch vergezzen, niederländisch vergeten, englisch to forget. Darin steckt seinerseits to get, bekommen. Das mittelhochdeutsche vergezzen hat in ergezzen, ergötzen, vergessen machen, seine positive Entsprechung: entschädigen, vergnügen. Es ist also ein Beispiel für die Art, die die Bedeutung des ursprünglichen Verbs in ihr Gegenteil verkehrt.

Etwas anders verhält es sich bei verlieren. Mittelhochdeutsch heißt dies verliesen. Darin ist das Substantiv Verlies noch erkennbar. Verlies heißt also der Ort, wo man verloren geht, für andere nicht mehr sichtbar ist - ein unterirdischer Kerker. Ein anderes Wort, Verlust, verweist auf das Englische to lose, lost. Auch hier erkennt man das /s/ des untergegangenen Ursprungsverbs, das noch in dem Suffix -los, dem Adverb los, dem Adjektiv lose und dem Verb lösen erhalten ist. Verlieren ist also ein verstärkender, endgültiger Ausdruck von lösen.

Gunhild Simon
11.11.2008

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