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Ein loser Schelm

Loser Schelm, charmante Umschreibung für einen wortgewandten Ironiker!

Ein Lästermaul nennt man jemanden, der kein Blatt vor den Mund nimmt, der seinen Mund nicht halten kann. Dieser hat also ein lockeres, ein loses Mundwerk.

Lose heißt dann im positiven Sinn locker, unkonventionell oder unbefangen, dagegen bedeutet es negativ verstanden undiszipliniert, ungezügelt oder ungezogen.

Betrachtet man dazu den Schelm, drängt sich der Gedanke an Schelmerei, Schabernack und Schelmenstreich auf. Oder man assoziert das schelmische Lächeln eines aufgeweckten und koketten Mädchens.

Doch schon an diesen beiden Bildern wird deutlich, daß der Schelm kein einfacher Narr oder Witzbold mit der Schelmenkappe – einer bunt-geteilten Narrenkappe, Kopfbedeckung vom Kasperle oder rheinischen Büttenredner – ist.

Die Schellenkappe hat außer der Klangähnlichkeit jedoch nichts mit ihrem Träger, dem Schelm, gemein: Schelle hat etwas mit Schall zu tun, schellen ist das Kausativverb, das Veranlassungsverb, zu schallen.

Der mittelalterliche Schelm war eine unrühmliche Existenz. Er wurde verachtet. Daher war ein Vergleich damit kaum schmeichelhaft.

Zunächst bedeutete Schelm eigentlich “toter Körper”, sogar “Aas, Pest, Seuche” mittelhochdeutsch schelm[e], schalm[e] und althochdeutsch scelmo, scalmo. Übertragen wurde der Schelm im Mittelalter so zu einem Schimpfwort: “verworfener Mensch, Betrüger”. Von da aus war es nicht weit zum “Abdecker”, dem, der die kranken oder unnützen Haustiere schindet, tötet. Schließlich ergibt sich daraus das Verständnis des Henkers als des Menschenschinders.

“Der Schelm von Bergen”, wie ihn Heinrich Heine in seiner Ballade zeichnet, ist der Henker, der sich “vermummt” beim Fastnachtsball, dem “Mummenschanz”, unter die tanzende Gesellschaft mischt, was ihm sonst als Verbündeten des Todes verwehrt ist. Und das weist auf die wahre Bedeutung des Wortes “Schelm” hin.
Weil der Henker als gesellschaftlich Verfemter außerhalb der Dorfgemeinschaft lebte, “unrein” war, galt die Bezeichnung Schelm folglich für andere als tödliche Beleidigung.

Der Name Schelm hieß ursprünglich “Todbringer” und war im Hochmittelalter auch ein ritterlicher Beiname, der so in einem euphemisierenden Verständnis auf den Scharfrichter übertragen wurde.

Der deutsche Schelmenroman steht in der spanischen – picaresken – Tradition. Seine Hauptfigur ist der pícaro, der Schelm. Das ist ein gemeiner Kerl mit üblem Lebenswandel, ein Abenteurer aus niederster Gesellschaftsschicht – “Landstörtzer”, Landstreicher. [1] Als scheinbar einfältiger, aber hintersinniger Betrachter bespiegelt der Held die Gesellschaft – exemplarisch als der Gaukler und Possenreißer “Till Eulenspiegel” mit der Schellenkappe oder als “Simplicissimus”, ein ‘Simpel’ von schlichtem Gemüt. [2] Erst im 18. Jahrhundert wird das Wort Schelm anders empfunden, als sein negativer Beiklang sich wandelt.

Die Stränge der Wortgeschichte sind zwar aus unterschiedlichen Quellen gespeist, fließen aber in der Aussage über den Schelm als Außenseiter zusammen, ein Gezeichneter, mit dem ehrbare Bürger sich nicht gemein machten.

[1] Walther Killy: Literaturlexikon, zum Stichwort Schelmenroman
[2] Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus (1668) Er gilt als erster deutschsprachiger Abenteuerroman. Soeben ist eine vielseits gelobte Übersetzung ins Hochdeutsche erschienen.

Gunhild Simon
Dez 27 2009

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