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Eingeigelt – Igel, Einzelgänger und Kulturfolger

Wenn es im Herbst früher dämmert, Vögel auf ihren Schlafbäumen hocken, Mäuse unhörbar wispern und Katzen auf leisen Pfoten durch die Gärten schleichen, wird ein anderer Bewohner munter und stöbert unverhohlen schnüffelnd, sorglos raschelnd umher.

Trockenes Laub, herabgefallene Früchte und Samen bedecken den Boden. Darin treibt ein Igel auf Nahrungssuche sein Wesen. Schon seit einigen Wochen ist der Nachwuchs da. Außerdem muss er sich kräftigen. Denn es gilt, für den Winterschlaf vorzusorgen. Dafür bedarf es einer Speckschicht, Vorrat für vier oder fünf Monate reduzierten Stoffwechsels.

Der Igel heißt mittelhochdeutsch igel, althochdeutsch igil, lateinisch (h)erinaceus, herix, hericius, echinus, französisch hérisson. Alles lautmalerische Hinweise auf seine Stachligkeit. Nur im Englischen hat der Igel einen poetischen Namen: hedgehog, “Heckenhocker”, ein Hinweis auf seine Lebensweise. Igel sind die typischen Bewohner des Buschwerks und der Hecken, der Parks und der Gärten. Selbst mit dem Blutegel ist eine etymologische Verwandtschaft vorhanden. Dieser Zusammenhang entstand aus der rüsselartigen Schnauze, die an den Saugnapf des Parasiten erinnert. [1]

Ihr ungewöhnlicher Habitus hat ihnen allerlei Vergleiche eingebracht: “sich einigeln” als Bild der Absonderung, “schnarchen wie ein Igel” aus der Beobachtung, dass Igel im Vergleich zu anderen Tieren ganz unvorsichtig laut auftreten, “schweinigeln, Schweinigel” – vielleicht ein Hinweis auf die stöbernde Nahrungssuche und Ungepflegtheit des ansonsten possierlichen Tieres, das gegen Parasiten – Flöhe, Zecken, Fliegenlarven – in seinem Stachelkleid machtlos ist.

Die Stacheln sind eigentlich verhärtete Haare. Jeder der über tausend Stacheln ist an einen eigenen Muskel angeschlossen, der erlaubt, ihn aufzurichten. Das Stachelkleid ist mit einem Ring- und Schließmuskel verbunden, der das Zusammenziehen zu einer Stachelkugel bewirkt. Bei der Geburt sind die Igelstacheln noch weich, um den mütterlichen Geburtskanal nicht zu verletzen. Erst danach verhärten sie.

Anders als Nagetiere sind Igel keine Schädlinge für Pflanzen, wie etwa die gefürchteten Wühlmäuse, die gnadenlos Zwiebeln und Wurzeln vertilgen und so die Pflanzen subversiv zerstören. Der Igel ist Fleischfresser, Schädlingsvertilger. Er hat das typische Gebiss des Insektenfressers: Eine längliche Schnauze und zwei Reihen spitzer Zähne. Er jagt Insekten, Käfer, Würmer, Schnecken, auch kleine Wirbeltiere – im mittelalterlichen Volksmund auch “Schlangenfresser” geheißen. Nur selten tut er sich an nahrhaftem Fallobst und Wurzeln gütlich, sodass kein Gärtner ihn fürchten muss. Gift gegen Schädlinge dagegen ist auch für ihn tödlich.

Seine gemächliche, unbekümmerte Lebensweise korrespondiert mit seiner ungewöhnlichen körperlichen Ausstattung, die ihn komplett gegen Fressfeinde im konservativen Sinn schützt. Statt eines Haarkleides, wie es andere Säugetiere haben, bedeckt ein Stachelkleid den ganzen Rücken. Wird er verfolgt, sieht er sich einem Feind ausgesetzt, rollt er sich zu einer Stachelkugel zusammen, die dem Verfolger keine seiner Schwachstellen – Gesicht und Bauch – zeigt. Diese Verteidigungsstrategie versagt allerdings bei Autos. Deshalb werden die gemächlichen Trippler und innehaltenden Stachelkugeln auch von diesen modernen Verfolgern nicht geschont. Gerade im Herbst sind junge, unerfahrene Igel auf abendlich durchwärmtem Asphalt unterwegs, nichts Böses ahnend, und den Lichtern nahender Autos nichts als ihre Stacheln entgegensetzend.

Igel sind hierzulande geschützte Tiere. Man soll und darf sie fachgerecht versorgen, wenn sie in Not sind, um sie im darauffolgenden Frühjahr wieder auszusetzen. Das betrifft Jungtiere, denen es nicht gelungen ist, sich für den Winterschlaf rechtzeitig vorzubereiten, auch verletzte oder kranke Tiere, denen man die Hilfsbedürftigkeit ansieht, weil sie zu Zeiten des eigentlichen Winterschlafs noch orientierungslos und abgemagert herumtapsen. [2]

Wer Igel in seinem Garten ansässig machen will, sollte igelgerechte Angebote – Reisig-, Laub-, Holz- oder Komposthaufen – bereitstellen. Auch eine Plane darüber wird nützlich für den Wintergast sein.

Igel sind Einzelgänger, sie brauchen viel Raum, ein großes Jagdrevier, in dem sie auf verschlungenen Pfaden umhertrippeln. Sie sind keine Augentiere, auch wenn sie in der Dunkelheit – in der Dämmerung und am Abend aktiv sind. Sie verlassen sich ganz auf ihre Nase, mit der sie den Erdboden durchstöbern. Dabei rascheln und knistern, rüsseln, schnauben und schnüffeln nur sie so eindeutig unbesorgt und unüberhörbar wie kein anderes Tier. [3]

[1] Grimm: … zweierlei geschlächt desz igels werdend zu unseren zeiten gefunden, der ein hat ein rüssel gleich einer sauw, wirdt genannt auf theütsch seuwygel: der ander aber ein schneugen (schnauze) wie ein hund, wird aus der ursach genennt hundsygel.
Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm: Igel

[2] Pro Igel e.V.: Igel in der Tierarztpraxis (pdf)

[3] Kindgerechte Information findet sich hier:
     Hamsterkiste – Lerngeschichte mit weiteren Hinweisen

Gunhild Simon
27. September 2009

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