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Einzahl und Mehrzahl – bei Fremdwörtern versagt das Sprachgefühl

Fremdwörter sind eine Stilfrage. Seien sie nun differenzierter oder präziser, sachlicher oder ironischer, taktvoller oder beschönigender als Nicht-Fremdwörter. Fremdwörter richtig anzuwenden erfordert Sachkenntnis – aber auch grammatisches Hintergrundwissen.

Filet und Kotelette, Baby und Party – hier sind uns die Mehrzahlbildungen vertraut. Statt von Kotelettes, Babies, Parties, Kommata, Lexika und Atlanten zu sprechen, ist es bereits möglich sie Koteletts, Babys, Partys, Kommas, Lexiken und Atlasse zu nennen. Schon bei so unregelmäßigen Formen wie bei Kaktus – Kakteen, Atlas – Atlanten, Komma – Kommata, Lexikon – Lexika, Charakter – Charaktere muss man sich konzentrieren. Zwar ist bei diesen bereits eine Lockerung feststellbar. Ungewöhnliche Plurale aber, wie bei Status und Kasus – Genus und Tempus, muss man sich aneignen.

Pluralbildung bei Fremdwörtern ist eine Sache für sich. Je nachdem welcher Sprache ein Fremdwort entstammt, aber auch welchen sprachlichen Status es hat, bedarf es einer spezifischen Pluralform, um korrekt das sprachliche Anliegen wiederzugeben. Unabhängig von vertrauten Pluralen gibt es Formen, die dem Original entsprechen. Daher verlangt gerade hier differenzierter Ausdruck Bedacht.

Fremdwörter haben meistens die Pluralendung -en oder -e, Organismus – die Organismen, das Medium (Mittel) – die Medien, die Suada (Redeschwall) – die Suaden, das Fundament – die Fundamente. Die pluralische Endung -i ist meist ein Hinweis auf einen fachsprachlichen Kontext, der Modus (Art) – die Modi (Fachsprache lateinisch, Grammatik), das Tempo (Bewegtheit) – die Tempi (Fachsprache Musik, italienisch). Neben den üblichen Pluralen können auch fachsprachliche stehen, der Motordie Motoren und die Motore, der Tumordie Tumore. So ist auch zwischen den beiden Bedeutungen von Partikel zu unterscheiden: das (Ruß-, Staub-)Partikel – die Partikel ist ein Begriff aus der Physik und bedeutet Teilchen von lateinisch particulum, die Partikel – die Partikeln, aus lateinisch particula, dagegen ist ein Begriff aus der Grammatik und bezeichnet ein nicht flektierbares, also unveränderliches Wort, z. B. da, heute, wohl.

Unregelmäßigkeiten sind bei der Status (Stand), der Kasus (Fall), der Impetus (Antrieb) zu beachten. Sie können ihre grammatische Herkunft aus der lateinischen u-Deklination nicht verleugnen. Sie schreiben sich zwar im Plural identisch, unterscheiden sich jedoch in ihrer Aussprache mit langem /u/ in der Endung.

Um eine andere Besonderkeit handelt es sich bei das Genus (grammatisches Geschlecht), das Tempus (grammatische Zeit), ferner das Opus (künstlerisches Werk), das Caput (Kapitel), das Korpus (Textbeleg). Diese sind auch als Fremdwort ein Neutrum. Daher lautet ihr Plural, wie bei allen lateinischen Neutra, auf /-a/: die Genera, die Tempora, die Opera, die Capita, die Korpora.

Auch Fremdwörter mit der Endung -um gehören dazu: das Visum – die Visa, das Antibiotikum – die Antibiotika, das Plenum – die Plena. Weil Visa (Sichtvermerke), und Antibiotika (Mikroorganismen-abtötende-Medikamente), häufig im Plural gebraucht werden, gerät ihr Singular in Vergessenheit, sodass falsche Formen, *Visas, *Antibiotikas, sich einbürgern. Auch hier beginnen sich akzeptable Altenativen anzubieten, z. B. die Visen, die Plenen.

Die Pluralbildung ist im Deutschen vielgestaltig. Sie folgt aber bei Fremdwörtern keiner festen Regel, kann sich sogar nach dem fremdsprachlichen Original richten. Dies zu berücksichtigen erfordert Spezialwissen, das man nicht immer parat hat. Im Zweifel sollte dies ein Impuls für den Blick ins Fremdwörterbuch sein.

Gunhild Simon
13. März 2007

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