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Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht …

Gewöhnlich ist der Reif der erste Bote des nahenden Winters. In dem tragischen Volkslied ist der unzeitige Reif ein Bild für den schicksalhaften Tod.

Er überkommt die »zarten Blaublümelein«, das kindlich-unerfahrene Paar, das, um seiner Liebe willen sich über Konventionen hinwegsetzend, scheitert.

Statt in Form von Eiskristallen begegnet uns der Reif auch als Schmuck – als Diadem, Fingerring oder Haarreif. Ein weiteres Wort, Reifen, scheint ihm in seiner Form nahezustehen. Ist dies, obgleich es einen ganz anderen Gegenstand bezeichnet, identisch?

Anton Florentin von Zuccalmaglio
Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht.
Er fiel auf die zarten Blaublümelein;
sie sind verwelket, verdorret.
Ein Knabe hatte ein Mädchen lieb.
Sie flohen beide von Hause fort,
es wußten nicht Vater noch Mutter.
Sie sind gewandert wohl hin und her.
Sie hatten nirgends Glück noch Stern,
sie sind verdorben, gestorben.
Auf ihrem Grabe drei Röselein stehn.
Umranken sich treu wie sie im Grab.
Der Sturm sie nicht welket, nicht dorret.

Das Adjektiv reif dagegen drückt etwas der Ernte Verwandtes aus. Hier lässt Reife an Vollendung und Fülle denken.

Im übertragenen Sinn verknüpft sich damit auch eine Vorstellung vom richtigen Zeitpunkt: die Zeit ist reif, Produktreife, menschliche oder gedankliche Reife. Euphemisierend erscheint Reife als Umschreibung für Welken und Alter: reife Frau, reifes Alter.

Die Verneinung jedoch, Unreife und unreif, hat übertragen auf menschliche Qualitäten eine kritische Bedeutung: unentwickelt, unbedacht und unüberlegt.

Reifen – Wagenräder, Fässer und Spielringe

Betrachtet man alte Wagenräder, deren hölzerne Rollfläche noch nicht gummibereift waren, sondern mit einem Eisenreifen eingefasst waren, so erschließt sich die Bezeichnung Reifen neu. Sie gleichen dem Fassband, womit Holzfässer, Bütten, Holztröge gefasst sind, und dienen dem Halt und der Stabilisierung des Holzes.

Heinrich Heine
Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht,
Er fiel auf die bunten Blümelein:
Sie sind verwelket, verwelket, verdorret.
So manche Knospe, sie sank in Tod,
Bevor geschaut sie der Sonne Licht;
Sie ist verwelket, verwelket, verdorret.
Ach, kaum zum Lebenslicht erwacht,
Hat frostiger Hauch sie geweht ins Grab;
Sie ist gestorben, gestorben, verdorben.

Schon zu allen Zeiten gab es das Geschicklichkeitsspiel, einen Spielzeugring vor sich her zu treiben. Er ist verewigt in dem Vers: »Und auch der Ludwig war nicht steif und brachte seinen runden Reif.« Er entstammt der Geschichte von den drei bösen Buben und dem kleinen Mohren im »Struwwelpeter«. Der Spielreifen verdankt seinen Namen der Form des Werkstückes. War in den sechziger Jahren ein bunter Plastikreifen namens Hula-Hupp-Reifen in Mode, so gibt es heutzutage für Fitness und Beweglichkeit Gymnastikreifen.

Reif, Ring, mittelhochdeutsch reif, hat die weiteren Bedeutungen Seil, Strick, Band, Ring, Fassband, Fessel und ist eng verwandt mit Reep, das noch in Fallreep, Strickleiter, lebendig ist. »Reeperbahn« ist also die Drehbahn des Seilers. Die Nebenform Reifen hat sich in der Bedeutung differenziert. Reifen ist ein Ausdruck für dreierlei: für den Spielring, für das Fassband und für Mantel und Schlauch.

Reife – Allerlei Schmuck

Als Reif bezeichnet man indessen solche dem Reifen nachempfundene Gegenstände wie den Haarreif, der ins Haar gestreift den Schopf zurückhält, den schlichten Reif, den Ring, den der Bräutigam der Braut auf den Finger streift, und den Armreif, der häufig nicht geschlossen ist, um das Über- und Abstreifen zu erleichtern.

Reif – Bizarre Beschichtungen

Der Reif – als Rauhreif wegen seiner verzaubernden Schönheit besonders willkommen – ist eine kristalline, feine Eisablagerung aus gefrorenem Nebel. Auch er hat einen Bezug zu den Gegenständen Reif und Reifen. Die Verwandtschaft zu streifen lässt dies sichtbar werden: Der Reif heißt mittelhochdeutsch rife, das ist etwas, das man abstreifen kann. Eine Art Reif ist auch Pflaumen, Trauben, Heidelbeeren und Schlehen eigen, er lässt sie zunächst mattblau erscheinen. Sobald man die Früchte anfasst, abwischt, gar poliert, werden sie glänzend violett. Diese Vorstellung von Reif findet sich auch in der Pilzkunde wieder: Reifling, Reifpilz, Bereifung, Bereiftheit – all diese Namen weisen auf die sichtbar fragile, abwischbare Reifschicht hin.

reif – die Zeit des Abstreifens

So lässt sich schließlich mit Reif auch das Adjektiv »reif« in Verbindung bringen. Es bedeutet, dass sich die Frucht im reifen Zustand abpflücken, abstreifen lässt. Das mittelhochdeutsche Wort rife hat zweierlei Bedeutung: es bezeichnet das Adjektiv reif wie auch das Substantiv Reif, Bereiftheit.

So unterschiedlich die Zusammenhänge zunächst erscheinen mögen, es ergibt sich als Gemeinsamkeit das Bild des Ab- oder Überstreifens einer Umhüllung. Dies drückt sich aus in Reifen und Reif und deutet auf einen Zusammenhang zu reif und Reife hin.

Gunhild Simon
23.07.2008

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