Thumulla.com

Es wächst zusammen, was zusammengehört: Das verzwickte Partizip Perfekt

Sprachbetrachtungen verlocken gelegentlich zur Nachforschung über die Wurzeln geläufiger Begriffe. Hier beschäftigt uns das Partizip Perfekt und der Infinitiv.

Somit beschäftigen uns die infiniten - also die unveränderlichen Verbformen:
Infinitiv und Partizip Perfekt:
(Man sehe mir nach, dass die Reihenfolge ihrer Behandlung verkehrt scheint. Die Sinnhaftigkeit wird sich erweisen.)

Sobald ein zusammengesetztes Tempus gebildet wird - etwa das Perfekt - gilt es wiederum etwas zu beachten:

Die untrennbare Verbgruppe bildet - unabhängig vom Bedeutungsgehalt ihres Suffixes - das Partizip nur mit ihrer angestammten Vorsilbe, denn dabei fällt das Perfekt-spezifische ge - weg!

streuen- gestreut 
aber:

zer
streuen - zerstreut, bestreuen - bestreut

wickeln - gewickelt
aber:

ent
wickeln - entwickelt

Dagegen verlangt die Gruppe der trennbaren Verben (- und da täuscht ihre Bezeichnung: es ist ein Gebot ohne Alternative -) in ihrem Partizip Perfekt in der Regel ein eingeschobenes ge- .

also:
bilden - bildet -
gebildet.
(sich)
einbilden - bildet (sich) ein - eingebildet
aber:

ver
bilden -  verbildet
schieben - schob -
geschoben
ein
schieben - schob ein eingeschoben
ver
schieben - verschob - verschoben
laufen - lief - gelaufen
einlaufen - lief ein - eingelaufen
entl
aufen - entlief - entlaufen
ver
laufen - verlief - verläuft
unter
laufen unterläuft - unterlaufen
über
laufen - läuft über - übergelaufen
weisen - wies -
gewiesen
ab
weisen - wies ab - abgewiesen
ver
weisen - verwies - verwiesen

Hat das trennbare Verb jedoch noch eine weitere Vorsilbe, so richtet sich die Partizip-Perfekt-Bildung nach der des Ursprungsverbs!

zurückkommen - kommt zurück - zurückgekommen
zurück
bekommen -  bekommt zurück - zurückbekommen
ent
wickeln - entwickelt - entwickelt
weiter
entwickeln -  entwickelt weiter - weiterentwickelt

Bei Fremdwörtern auf -ieren bildet sich  das Partizip Perfekt immer zusatzlos auf -iert.

also:
diskutiert- ausdiskutiert
sensibilisiert- übersensibilisiert
spaziert- hinausspaziert

Die Trennbarkeit hat noch eine tiefgreifende Folge:

Um den Infinitiv mit zu zu bilden, bedarf es bei den trennbaren Verben des Einschubs dieses Wörtchens, während es bei allen anderen Verben vorangestellt wird:

Man braucht  Saat, um den Acker zu bestellen.
Wenn man richtig gewählt hat, braucht man nicht
umzubestellen.
Die Soldaten waren gekommen, um das Dorf
zu umstellen.
Nur selten kann man darauf verzichten, auf Computer
umzustellen.
Er versuchte ein Zimmer
zu buchen.
Es war unnötig
umzubuchen.

Fingerspitzengefühl ist geboten bei scheinbar bevorsilbten Verben wie etwa
maßregeln - gemaßregelt,
mutmaßen -  gemutmaßt

Dennoch:
maßgeregelt, mutgemaßt
 klingt nicht einmal unkorrekt. Dass sie dennoch untrennbar sind, liegt mutmaßlich an der Abstammung: die Maßregel, die Mutmaßung.

Vorsilben wie miss- und voll- sind gleichfalls mit Auslegungssensibilität zu behandeln.

Die erstere ist bei einigen Verben unbetont, bei anderen betont. Getrennt wird sie jedoch  nie. Dagegen zeigt sich im Partizip Perfekt sogleich diese Verschiedenheit:
missbrauchen - missbraucht
aber: missbilden - missgebildet

Auch bei letzterem stand die Missbildung Pate.

Ein Beispiel aus den Blüten der Wissenschaftssprache:
da spricht man als gebildeter Politologe lieber von Rechtfertigung als von Rechtfertigung. Folgerichtig wird natürlich rechtfertigt und nicht gerechtfertigt

Und:
Es ist etwas graduell Unterschiedliches etwas zu vollbringen oder voll zu bringen.

Immerhin hat man etwas vollbracht, wenn man es voll gebracht hat!

Gunhild Simon

alle    deutsche Sprache    Gunhild Simon    Startseite(__index)



Thumulla.com    Startseite der Artikel    Links und Werbung    Diskussion    Suche auf dieser Seite