Es wächst zusammen, was zusammengehört: Das verzwickte Partizip Perfekt
Sprachbetrachtungen verlocken gelegentlich zur Nachforschung über die Wurzeln geläufiger Begriffe. Hier beschäftigt uns das Partizip Perfekt und der Infinitiv.
Somit beschäftigen uns die infiniten - also die unveränderlichen Verbformen:
Infinitiv und Partizip Perfekt:
(Man sehe mir nach, dass die Reihenfolge ihrer
Behandlung verkehrt scheint. Die Sinnhaftigkeit wird sich
erweisen.)
Sobald ein zusammengesetztes Tempus gebildet wird - etwa das
Perfekt - gilt es wiederum etwas zu beachten:
Die untrennbare Verbgruppe bildet -
unabhängig vom Bedeutungsgehalt ihres Suffixes - das Partizip nur mit
ihrer angestammten Vorsilbe, denn dabei fällt das Perfekt-spezifische ge
-
weg!
streuen- gestreut
aber:
zerstreuen - zerstreut,
bestreuen - bestreut
wickeln - gewickelt
aber:
entwickeln - entwickelt
Dagegen verlangt die Gruppe der trennbaren
Verben (- und da täuscht ihre Bezeichnung: es ist ein Gebot ohne
Alternative -) in ihrem Partizip Perfekt in der Regel ein eingeschobenes ge-
.
also:
bilden - bildet - gebildet.
(sich) einbilden - bildet (sich) ein - eingebildet
aber:
verbilden - verbildet
schieben - schob - geschoben
einschieben - schob ein -
eingeschoben
verschieben - verschob
- verschoben
laufen - lief - gelaufen
einlaufen - lief ein -
eingelaufen
entlaufen - entlief -
entlaufen
verlaufen - verlief -
verläuft
unterlaufen - unterläuft
- unterlaufen
überlaufen - läuft über -
übergelaufen
weisen - wies - gewiesen
abweisen - wies ab -
abgewiesen
verweisen - verwies -
verwiesen
Hat das trennbare Verb jedoch noch eine weitere
Vorsilbe, so richtet sich die Partizip-Perfekt-Bildung nach der
des Ursprungsverbs!
zurückkommen - kommt zurück - zurückgekommen
zurückbekommen - bekommt
zurück - zurückbekommen
entwickeln - entwickelt -
entwickelt
weiterentwickeln - entwickelt
weiter - weiterentwickelt
Bei Fremdwörtern auf -ieren bildet sich
das Partizip Perfekt immer zusatzlos auf -iert.
also:
diskutiert- ausdiskutiert
sensibilisiert- übersensibilisiert
spaziert- hinausspaziert
Die Trennbarkeit hat noch eine tiefgreifende Folge:
Um den Infinitiv mit zu zu
bilden, bedarf es bei den trennbaren Verben des Einschubs
dieses Wörtchens, während es bei allen anderen Verben vorangestellt wird:
Man braucht Saat, um den Acker
zu bestellen.
Wenn man richtig gewählt hat, braucht man nicht umzubestellen.
Die Soldaten waren gekommen, um das Dorf zu
umstellen.
Nur selten kann man darauf verzichten, auf Computer
umzustellen.
Er versuchte ein Zimmer zu buchen.
Es war unnötig umzubuchen.
Fingerspitzengefühl ist geboten bei scheinbar bevorsilbten
Verben wie etwa
maßregeln - gemaßregelt,
mutmaßen - gemutmaßt
Dennoch:
maßgeregelt, mutgemaßt klingt nicht
einmal unkorrekt. Dass sie dennoch untrennbar sind, liegt
mutmaßlich an der Abstammung: die Maßregel, die
Mutmaßung.
Vorsilben wie miss- und voll-
sind gleichfalls mit Auslegungssensibilität zu behandeln.
Die erstere ist bei einigen Verben unbetont, bei anderen
betont. Getrennt wird sie jedoch nie. Dagegen zeigt sich im Partizip
Perfekt sogleich diese Verschiedenheit:
missbrauchen - missbraucht
aber: missbilden - missgebildet
Auch bei letzterem stand die Missbildung
Pate.
Ein Beispiel aus den Blüten der Wissenschaftssprache:
da spricht man als gebildeter Politologe lieber von Rechtfertigung
als von Rechtfertigung. Folgerichtig wird natürlich rechtfertigt
und nicht gerechtfertigt.
Und:
Es ist etwas graduell Unterschiedliches etwas zu
vollbringen oder voll zu bringen.
Immerhin
hat man etwas vollbracht, wenn man
es voll gebracht hat!
Gunhild Simon
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