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Frühling in Hamburgs Bäckereiketten

Ganz Hamburg schwelgt im Frühling! Und der währt in einer fast ununterbrochenen Schönwetterperiode schon seit vier Wochen.

Den Frühling hat sich auch eine führende Bäckereikette in Hamburg frühzeitig auf die Fahnen geschrieben und zwar in Form von Lyrik auf frühlingshellen Brötchentüten, geziert mit pastellfarbenen Blumen und Schmetterlingen statt des typischen gelben Streifenmusters.

Ich war angetan von dem Gedanken, dass man nun mit Poesie am Frühstückstisch schon seine schöngeistige Bildung auffrischen darf.

Und dazu auch mit Anspruchsvollem, denn kein Geringerer als Eduard Mörike, der schwermütige Pfarrer, Dichter zu Herzen gehender Gedichte, war da vervielfältigt und verewigt:

“Frühling lässt sein blaues Band
wieder flattern durch die Lüfte;
süße, wohlbekannte Düfte
streifen ahnungsvoll durchs Land.”

Einem unguten Gefühl folgend nahm ich die Worte - und Wörter - unter die Lupe: kein falscher Apostroph bei durchs. Kompliment! Auch in die Falle des “Blauen Bandes” ist niemand getappt.

Und schließlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen:

Verwilderte Hunde, hungrige Wölfe, marodierende Soldaten, sie alle können auf der Suche nach Beute das Land durchstreifen, durch das Land streifen.

Aber die zarten Düfte, die Ahnungen kommender Frühlingswonnen, sie streifen die Kreatur, streifen das Land, so dass man leise berührt wird wie von einem Zauber, der Frühling heißt.

Also, der fast unmerkliche, aber entscheidende Unterschied zeigt sich im authentischen Wortlaut der letzten Zeilen:

“Süße, wohlbekannte Düfte
streifen ahnungsvoll das Land.”

Unnötigerweise habe ich meine Erkenntnis der Bäckereifachverkäuferin mitteilen wollen. Aber die zeigte kein Verständnis: Sie hätte es genau so in der Schule gelernt. Da gab ich mein Ansinnen auf.

Jetzt ist bald Sommer. Auf der Tüte steht heute schon ein neues Gedicht, eigentlich nur der lapidare Reim einer mir unbekannten Poetin namens Annette Anderson:

“Knospenfülle, Fröhlichkeit …
Herrlich! Das ist Frühlingszeit.”

Ob solch mediokrer Dichtkunst verfiel ich in jene Bildungshybris, die ich mir eigentlich verbiete:

“Si tacuisses
philosophus manuisses.”

Was schließlich auch ein schöner Reim ist - mit dem so manchem ruhebedürftigen Frühstücksmuffel aus der noch schläfrigen Seele gesprochen wäre, und nicht nur der wehmütige Ex-, sondern auch der lernwillige Noch-Gymnasiast etwas über den lateinischen Konjunktiv Plusquamperfekt erführe.

Und wem diese Kostprobe unsterblicher Sprüche nicht genügt - es gibt eine einschlägige Sammlung in einer handlichen, ansprechend gebundenen Ausgabe “Reclams Lateinisches Zitatenlexikon”. Mit Übersetzungen, kontextuellen Hinweisen und Kommentaren für bildungshungrige Seelen - oder Angeber, die einen Extrakt lateinischer Sentenzen suchen. Das hilft einem über jede Schweigeminute am Frühstückstisch und anderswo hinweg.

Webhinweise:

Dunkles Roggenbrot

Nachgebacken: Saftiges Mehrkornschrotbrot mit verschiedenen Saaten

Gunhild Simon
28.05.2008

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