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Gärung und Gehrung - zwei unterschiedliche Verfahren

Gären ist ein Vorgang, der uns im Zeitalter des Kühlschranks und Fertigkuchens kaum noch bekümmert. Diesen Prozess der alkoholischen Gärung lernt man als Exempel in der Schule. In dem scheinbar romantisch-verklärenden Pennäler-Klassiker “Die Feuerzangenbowle” wird dies für die Schüler zur unterhaltsamen, für den Lehrer zur peinsamen Veranstaltung.

Aus Zucker wird mit Hilfe von Hefe Alkohol und Kohlensäure. Deshalb brodelt es beim Gärvorgang. Dies geschieht beim Bierbrauen, Weinbereiten, bei unsachgemäß gelagerten Marmeladen oder Fruchtsäften, aber auch beim Herstellen eines Hefe- oder Sauerteiges. Die Hefen, die dabei mitwirken, sind verschiedener Herkunft: Edelhefen beim Wein, Backhefe oder Sauer beim Backen, Wildhefen beim Verderben von Lebensmitteln. In dem Wort Germ für Hefe zeigt sich ihre Verwendung noch: Germknödel sind Hefeklöße.

Gären wird auch metaphorisch verstanden: Es brodelt - gärt - in der Seele, wenn man unterschwellig wütend ist. Die Aufwallung der Empörung, die einem Volksaufstand vorausgeht, wird als ein unkontrollierbares Gären und Brodeln beschrieben: Der Romantitel des französischen Realisten Émile Zola “Der Bauch von Paris”, der auf den Unruheherd des Pariser Hallenviertels als alles verschlingendes Monster anspielt, verbildlicht diese Vorstellung.

Das Verb gären bezeichnet den Gärprozess. Es hat zwei verschiedene Beugungen. Eine ist unregelmäßig, ein wenig altertümlich anmutend: gären, gor, gegoren. Die andere ist eine regelmäßige, zunehmend gebräuchliche: gären, gärte, gegärt. Das Wort gären bedeutete ursprünglich wallen, sieden, brodeln, schäumen. Diese Bedeutung ist noch erhalten in dem Verb garen, kochen, und dem Adjektiv gar, gekocht, bereit, und in einer Übertragung in dem Adverb sogar, gar, ganz, vollends.

Das Verb gehren, von dem sich das Verbalsubstantiv Gehrung ableitet, dagegen begegnet uns im Alltag kaum noch. Es ist ein Fachbegriff aus dem Tischlerhandwerk und bezeichnet das diagonale Zuschneiden einer Leiste in einem 45°-Winkel, um sie mit einer zweiten zu einem rechten Winkel zusammenzufügen. Dieses Vorgehen zeigt sich in den Ecken eines Bilderrahmens. Dazu benutzt man eine Gehrungssäge.

Das Wort Gehrung bezieht sich also auf die Zuspitzung des Holzes. Abgeleitet aus ger, m, aus dem Alt- und Mittelhochdeutschen sind Gehre, f, Gehren, m. Der Ger war die Speerspitze, der Stoß- oder Wurfspeer. Das altgermanische Wort bedeutete ursprünglich Stock, Stange. Es ist seinerseits verwandt mit dem gallisch-lateinischen gaesum, n, Geißel, einem Züchtigungswerkzeug, das durch das slawische Lehnwort Peitsche verdrängt wurde und heute fast nur noch im übertragenen Sinn von Plage, Strafe - “Geißel Gottes” - verwendet wird.

Gunhild Simon
18.05.2008

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