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Geisel und Geißel

Zwei Begriffe, deren lautliche Nähe stutzen lässt, deren Bedeutung und Herkunft einen Zusammenhang nahelegt. Obwohl sie beide germanische Wurzeln haben, ist ihr konkreter Bedeutungszusammenhang verlorengegangen, und sie werden inzwischen teils metaphorisch, teils verfremdet gebraucht.

Geißel geht auf das mittelhochdeutsche Wort geisel, Peitsche zurück, das eine Verwandtschaft zu dem altgermanischen Wort ger, Stock, Stange, Speer.

Die Geißel ist das ursprüngliche Wort für ein Züchtigungswerkzeug. Sie besteht aus einem Stock, Stiel mit einem oder mehreren Riemen oder Schnüren.

Selbstgeißelung, Kasteiung, Flagellation, die sich etwa Mönche im Mittelalter – »Flagellanten« – auferlegten, um Buße zu tun, war oftmals gekennzeichnet durch besonders schmerzhafte Varianten mit Knoten oder Metallgewichten samt Widerhaken an den Enden. Geißel ist durch das slawische Lehnwort Peitsche weitgehend verdrängt wurde. In übertragener Bedeutung als Plage, Strafe findet es heute Verwendung: »Geißel Gottes«, »Krankheit als Geißel der Menschheit«, »Geißel des Krieges«.

Ein weiterer übertragener Anwendungsfall ist in der Biologie der Begriff Geißeltierchen, Flagellum (»Peitsche«). Hier handelt es sich um Einzeller, deren Fortbewegungsart peitschenähnlich anmutet.

Die Geisel – eines der wenigen weiblichen Wörter für überwiegend männliche Subjekte, gisel – hat trotz der formalen Nähe zu dem mittelhochdeutschen Wort für Geißel, Strafe, nichts mit der Bestrafung der Personen zu tun, die als Geiseln ausgeliefert wurden. Geisel, der Leibbürge, geht zurück auf das mittelhochdeutsche gisel und ist wohl aus dem Keltischen entlehnt. Leibbürgen wurden zur Gewähr der Einhaltung eines Vertrages ausgeliefert (nachzulesen etwa bei Cäsar: Der gallische Krieg). Sie waren die Nachkommen vornehmer Vertreter Tributpflichtiger und wurden entsprechend ehrenvoll behandelt und erzogen. Das Ursprungswort zeigt sich noch in einigen Vornamen: Gisela, Gisbert, Giselher, Giselmund, Giselmar. Alle zeugen von der Vornehmheit ihrer Träger.

Heute versteht man unter Geisel etwas anderes. Es sind Menschen, die als Gefangene gewaltsam in die Hände von Verbrechern gelangt sind, die sie als Unterpfand zur Erpressung von Lösegeld oder terroristischer Forderungen benutzen.

Beide Wörter, die Geißel und die Geisel sind alte deutsche Wörter. Beide haben historisch andere Inhalte, als man heutzutage mit ihnen verknüpft. Dennoch haben sie trotz ihrer scheinbaren formalen und – wie man zunächst annehmen konnte – inhaltlichen Nähe nichts miteinander gemein.

Gunhild Simon
22.10.2009

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