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Gemeinsame Quelle, getrennter Verlauf: fehlen und verfehlen

Wie missen und vermissen drücken fehlen und verfehlen ein Versagen aus, das durch die Vorsilbe ver- zunächst verstärkt ist. In dieser sind unterschiedliche Vorsilben zusammengeflossen, die zusammengefasst etwa “darüber hinausführend” bedeuten.

Beziehen sich missen und vermissen auf den Gegenstand, der einem fehlt, so erfährt man in fehlen und verfehlen etwas über die Falschheit, den Fehl und Fehler, das Versagen einer Handlung.

In einem kaum noch gebräuchlichen Zusammenhang heißt fehlen auch verfehlen, das Ziel verfehlen. So erzählt das “Dschungelbuch” von dem drohenden Schicksal des Alphawolfes Akela, der seine Beute gefehlt habe.[1]

In Fehler erkennt man englisch failure, in fehlen englisch to fail. Dies ist entlehnt aus dem französischen faillir, altfranzösisch falir, verfehlen, versagen, das seinerseits lateinisch fallere, täuschen, und falsus, falsch, irrig, erkennen lässt.

Der Fehl ist nur noch in der Wendung “ohne Fehl und Tadel” erhalten. Ebenso erscheint das Adverb fehl nur noch in “fehl am Platze” und als Präfix mit der Bedeutung “falsch”: fehlschlagen, fehlgehen, fehlleiten, in den Komposita fehlbar und unfehlbar, Fehlgeburt, Fehltritt, Fehlgriff, Fehlschluss, Fehlverhalten. Diese Wörter haben den Inhaltsanteil irrig, fehlgeschlagen von verfehlen als Verstärkung von fehlen.

Im heutigen Sprachgebrauch tritt fehlen nur noch als Synonym von mangeln, abwesend sein, einen Fehler haben als einen Mangel haben, einen Fehler machen als etwas Falsches tun, auf.

Die Substantivbildung zu verfehlen lautet Verfehlung, Vergehen. Das Adjektiv verfehlt bedeutet danebengetroffen. Einander, jdn oder etwas verfehlen heißt verpassen, versäumen.

In Bezug auf eine Krankheit wird fehlen unpersönlich gebraucht: etw. fehlt mir, es fehlt mir [an]. Oder: mir fehlt [es an] nichts. Jedoch geht bei dieser Formulierung keine Spezifizierung: “Was fehlt dem Kind ?” “*Ihm fehlt eine Lungenentzündung.” Daran wird deutlich, dass” fehlen” kein grammatisch austauschbares Synonym für “(eine Krankheit) haben” ist, sondern ein Bild für den Mangel an Gesundheit ist. Die ursprüngliche Formulierung lautet: “Woran fehlt es ihm?”

Dagegen hat die Verbbildung befehlen, mittelhochdeutsch bevelhen, einen anderen Hintergrund: Es hieß ursprünglich [der Erde]übergeben, begraben. Die Übertragung, das Übergeben eines Amts, ist die Grundlage der heutigen Bedeutung von befehlen. Der ursprüngliche Sinn von anvertrauen ist noch in der Grußformel “Gott befohlen!” und Märchen- oder Liedtexten gegenwärtig: sich Gott befehlen.[2] Die Bedeutung anvertrauen liegt ebenso dem Verb empfehlen, anraten, zugrunde.

[1]Rudyard Kipling: Das Dschungelbuch, Berlin, S.30
[2] Befiehl du deine Wege, EKG Hamburg Nr. 361 , Gott des Himmels und der Erden, EKG Nr. 445 “Meinen Leib und meine Seele, samt den Sinnen und Verstand/ großer Gott, ich dir befehle …”

Gunhild Simon
10.11.2008

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