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Geschlechtszugehörigkeit und Rolle in der deutschen Sprache

Substantivierte Partizipien

Im Gegensatz zu der Auszubildende hat der Beamte schon seine ursprüngliche Partizipform der Beamtete verloren. Dadurch ist die weibliche Form die Beamtin möglich geworden. Lediglich bei Gebrauch des unbestimmten Artikels wird die eigenartige Mischform des Wortes noch erkennbar: der Beamte, aber ein Beamter.

Dieses Prinzip lassen auch der Verwandte, der Bekannte, der Gesandte, der Geliebte erkennen. Sie alle werden wie ein Adjektiv substantiviert. Das zeigt sich sowohl in ihren unbestimmten Formen als auch in der schwachen Beugung. Es sind dies aus Partizipien hergeleitete Substantive, deren Abstammung sich noch beim unbestimmten Artikel zeigt, denn da heißt es: ein Verwandter, ein Bekannter, ein Gesandter, ein Geliebter. Das Deklinationmuster lautet: der Verwandte, des Verwandten, dem Verwandten, den Verwandten.

Keine dieser Substantivierungen lässt Zweifel daran, dass es sich um ein männliches Wesen handelt, während die/eine Verwandte, Bekannte, Gesandte, Geliebte sich als weibliches zu erkennen gibt. Bestrebungen, durch das Suffix -in eine Abgrenzung vorzunehmen, wo die Grammatik sich verweigerte, sind nichts Neues.

So brachten es “die Verwandtin” und “die Gesandtin” zu einer gewissen Geläufigkeit. Dennoch halte ich diese Bemühungen für ganz offensichtlich überflüssig, weil der Artikel das Genus bereits bestimmt. Da in vielen Situationen die geschlechtsspezifische Unterscheidung gegenüber der Rolle in den Hintergrund tritt, sind spezifische Oberbegriffe deutlicher.

Es empfiehlt sich nach meinem Verständnis also in einem Elternbrief die Eltern statt die Mütter und Väter anzusprechen, beim Familienfest die Verwandten statt der Onkel, Tanten, Neffen und Nichten, beim Kinderfest die Kinder statt der Jungen und Mädchen. Man sollte über die Menschen sprechen, wenn es um Männer und Frauen geht.

Es wirkt wie eine um vordergründige Political Correctness bemühte und hohle Geste, von “Schülerinnen und Schülern, Besucherinnen und Besuchern, Kolleginnen und Kollegen, Mitbürgerinnen und Mitbürgern” zu reden, während kein Zweifel daran besteht, dass es sich um weibliche und männlicher Wesen gleichermaßen handelt. In Übertreibung dieses Prinzips kommt es schließlich zu Blüten wie “Mitgliedinnen” und “Gästinnen“.

Man kann sich mit puristischer Anmaßung fragen, ob die Anhängung der deutschen verweiblichenden Nachsilbe -in an lateinisch ausgerichtete Bezeichnungen wie Referent, Aspirant, Professor, Pastor überhaupt grammatisch vertretbar ist. Nur, warum sollte man die lateinische Grammatik der deutschen überstülpen? Es wirkt allzu bildungsbeflissen, ja, servil, wenn man seiner eigenen Sprache so wenig Integrationskraft zubilligt.

Wenn Oberbegriffe zum geläufigen Sprachfluss beitragen, empfiehlt es sich, danach zu greifen. Wenn man eine spezifische Rolle anspricht, sollte die Nennung der überwiegend männlichen Bezeichnung genügen. Einziges Gegenbeispiel für ein weibliches Genus scheint hier “die Geisel” zu sein, die Vertreter des männlichen Sexus einschließt.

Gunhild Simon
29.04.2008

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