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Getrennt oder zusammen? Kompositum oder Wortgruppe?

Ein Wortgebilde, das aus mehreren Wörtern besteht, heißt Kompositum. Das bedeutet zusammengesetztes Wort. Solche Wörter schreibt man ihrer Definition gemäß zusammen. Im Deutschen sind Komposita allgegenwärtig und hochproduktiv. Hier geht es um adjektivische, attributiv und prädikativ gebrauchte Komposita aus Substantiv und Partizip I, z. B. seelentröstend, herzerfrischend, unmutverursachend.

Die konkrete Auffassung ist inhaltlich gebunden. Danach folgt die Getrenntschreibung einem näher bestimmbaren, Vorgang. Den Unterschied zwischen ständiger Eigenschaft und tatsächlichem Tun stellt man durch die Schreibung dar. In einem solchen Fall verliert sich die Auffassung als ein Kompositum, es handelt sich nunmehr um eine Wortgruppe.

Die Getrenntschreibung verweist auf eine Konkretisierung, eine Definition oder die aktuelle Darstellung eines Vorgangs oder Zustandes:

“Die Zecke befand sich Blut saugend im Fell der Katze.”
“Der Leopard lag Fleisch fressend auf einem Ast.”

Die Zusammenschreibung, also die Auffassung als Worteinheit, signalisiert hingegen eine generelle Kategorisierung, eine fortdauernde Eigenschaft:

“Die Mücke ist ein blutsaugendes Insekt.
Die Dionaea muscipula ist eine fleischfressende Pflanze.
Die Lärche ist ein nadelabwerfender Nadelbaum.”

In einer Stellenausschreibung fand sich die folgende Formulierung:
[Zitat]
Bitte stellen Sie in Ihrer aussagekräftigen Bewerbung insbesondere dar, inwieweit Sie das Anforderungsprofil erfüllen und senden Sie uns diese [...] mit einer Einverständniserklärung zur Einsichtnahme in die Personalakte (unter Angabe der Personalakten führenden Stelle) [...]

In dem zitierten Satz handelt es sich um die Stelle, die für die Führung der Personalakten zuständig ist. Diese Aufgabe ist ein dauerndes Charakteristikum dieser Einrichtung.

Ginge es dagegen um eine konkrete Kennzeichnung der Einrichtung, nur dann ergäbe die Getrenntschreibung Sinn. Dann wäre sie allerdings gekennzeichnet durch ein weiteres Attribut oder einen Artikel. Dann brächte man zum Ausdruck, dass es sich etwa um die (sämtliche/ geheime/ kritische/ herausragende) Personalakten führende Stelle oder die die Personalakten führende Stelle handelte.

Ist aber die fortwährende Eigenschaft dieser Stelle als Personalabteilung angesprochen, ist es nicht die (bestimmte) Personalakten führende Stelle, sondern die personalaktenführende Stelle.

Die Zusammenschreibung drückt ein dem Begriff innewohnendes Chrarakteristikum aus. Diese Eigenschaft ist maßgeblich für die Auffassung als Kompositum – personalaktenführend. Es wird eingesetzt wie ein Adjektiv, obgleich es sich um ein spontan gebildetes Wort handelt, das aus einem speziellen Bedürfnis komponiert wurde.

Das Gegenteil davon ist eine konkrete oder aktuelle Bedeutung.
Dies drückte man durch die getrennte Schreibung als eine Wortgruppe aus:

Fände man bei einer Inspektion die Beamten gerade über die Personalakten gebeugt vor, beschäftigt damit, Personalakten zu führen, dann allein käme eine Wortgruppe in Betracht. Im Bericht der Inspekteure hieße es dann: Die Beamten saßen Personalakten führend an ihren Schreibtischen.

Metallverarbeitende Industrie, futtermittelerzeugende Betriebe, schadstoffverringernde Methoden, krebsverursachende Stoffe, all diese Komposita sind Beispiele für die fortdauernden Eigenschaften, die sie attributiv anzeigen.

Tut man nun gut daran, die Partizipien zu Sätzen aufzulösen?

Das empfiehlt sich, wenn das Kompositum zu lang und unübersichtlich wird. Es bietet sich zunächst ein Relativsatz an: die Stelle, die die Personalakten führt, verwaltet, für die Personalakten zuständig ist.

Gerade metallverarbeitende Industrie – markerschütterndes Schreien, herzergreifende Worte, sehnsuchterfüllende Bilder, sinnerfassendes Lesen, verwirrungstiftende Fragen, notleidende Kinder – lassen sich nur bedingt auflösen, ohne den Sinn zu verändern.

- Das Augenmerk wird bei der Auflösung auf spezielle konkrete Eigenschaften gelenkt:

hochwertige Metalle verarbeitende Industrie; Industrie, die darauf spezialisiert ist, Metall (statt Holz oder Plastik für ein bestimmtes Produkt) zu verarbeiten

- Eine feste Wendung wird eingesetzt:

ein Mark und Bein erschütterndes Schreien

- Eine Spezifizierung hebt die Aussage aus der Allgemeingültigkeit der Eigenschaft heraus:

mein Herz ergreifende Worte – Worte, die mein Herz ergreifen
große Sehnsucht erweckende Bilder – Bilder, die meine Sehnsucht erwecken

den besonderen Sinn erfassendes Lesen – Lesen, um den besonderen Sinn zu erfassen

vollkommene Verwirrung stiftende Fragen – Fragen, die vollkommene Verwirrung stiften
bittere Not leidende Kinder – Kinder, die bittere Not leiden

Die deutsche Sprache zeichnet sich dadurch aus, beliebige Komposita bilden zu können. Diese Produktivität macht sie zugleich reizvoll und reich, aber auch unübersichtlich und schwierig, zumal zusätzliche Gleitlaute zwischen den Wortgliedern keiner Regel gehorchen. Deshalb findet man unmöglich alle herstellbaren Wörter im Wörterbuch.

Die Prinzipien der Kompositabildung sind Muttersprachlern mitgegeben. Horcht man in sich hinein, erfährt man sie bereits in der Betonung. Komposita, werden auf dem ersten Wortglied betont. Dagegen werden die Teile einer Wortgruppe je für sich betont: ´metallverarbeitende Industrie, ´Metalle ´verarbeitende ´Industrie.

Gunhild Simon
Jan 11 2011

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