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Grenzen des Geistes: bieder und spießig

Bieder und spießig – zwei Eigenschaften, die auf den ersten Blick identisch erscheinen.

Während Biederkeit ursprünglich eine Tugend bürgerlicher Unangefochtenheit, Wackerkeit und Tapferkeit verkörperte, geht Spießertum, Spießigkeit, Spießbürgerlichkeit zurück auf ein an soldatisch-unkritisches Spießgesellentum angelehntes Bürgerverhalten. Es ist der traditionell spöttischen, kritischen Studentensprache als Scheltwort für den bewaffneten Stadtbürger als “Schildbürger” entsprungen.

Das Adjektiv “bieder” ist ein auf den deutschen Sprachraum begrenztes
Wort aus mittelhochdeutsch bider, biderbe, daher altertümelnd auch “biderb” – mit einem ursprünglich positiven Klang, “tüchtig, brav, wacker”. Heute wird es dagegen nur noch abwertend im Sinne von “beschränkt, engstirnig” verstanden.

Einen unbescholtenen Ehrenmann bezeichnete man als “Biedermann”. Seit dem 19. Jahrhundert hat auch diese Bezeichnung einen herabsetzenden Beigeschmack.

In dem von “bieder” abgeleiteten Verb “sich anbiedern”, plump um Vertrauen werben, jugendsprachlich salopp  “schleimen”, verbirgt sich von vornherein eine negative Aussage.

Das Biedermeier als Stilrichtung – benannt nach der literarischen Figur des “Gottlieb Biedermaier”, eines kleingeistigen, treuherzigen, philisterhaften Schulmeisters, dessen Charakterzüge später als zeittypisch angesehen wurden – lehnt sich im Zusammenhang mit dem Nachnamen Biedermann an den damit verbundenen gediegenen, als typisch empfundenen Charakterzug des gehobenen Bürgertums der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an.

Wie lassen sich nun spießig und bieder, zwei Attribute, die eine angepasste, unkritische Lebenseinstellung und Persönlichkeitsstruktur kennzeichnen, voneinander abgrenzen?

Spießig heißt  konturlos, unfrei, beeinflussbar, unauffällig -  zugleich modisch und konform – oberflächlich und gedankenlos. Spießig klassifiziert jemanden nicht als unmodern, sondern als  mainstreamhaft, unoriginell, unauthentisch. Danach sind spießige Menschen – Spießer – äußerlich und inwendig besonders zeitgemäß, angepasst und stromlinienförmig.

Unter bieder ist eine gewisse altmodische Rechtschaffenheit, Bodenständigkeit, ein kurzsichtiges und engstirniges Traditionsbewußtsein zu verstehen – literarisch verkörpert in dem alten Giebenrath in Hermann Hesses Roman “Unterm Rad” (institut1.de – Im Räderwerk des Bildungsgetriebes – Hermann Hesses Erzählung Unterm Rad – ein Hörbuch), dessen Starrheit, Starrsinnigkeit und Kleingeistigkeit das existentielle Scheitern seines so begabten wie sensiblen Sohnes begünstigen.

Gunhild Simon
Dez 06 2009

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