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Hausaufgaben

Hausaufgaben bringen alle Beteilgten in ein Dilemma.

Ein Dilemma ist ein nach zwei Seiten offenes Verfahren – eine Zwickmühle. Es ist also eine Situation mit zwei Möglichkeiten, die beide zu einem kaum gegeneinander abwägbaren Resultat führen.

Ein engagierter Lehrer sieht Hausaufgaben als Vertiefung des Lernstoffs an und erhofft sich davon ein selbständiges Durchdringen und weiterführende Fragen. Das erscheint möglich in der ablenkungsfreien Ruhe des häuslichen Arbeitsplatzes. Gleichzeitig kann er schriftliche Hausaufgaben nur kontrollieren durch zeitaufwendiges Einsammeln und Durchsehen.

Ruhe, Abgeschiedenheit und ein überschaubarer Arbeitsplatz sind selten durchsetzbar. Die häusliche Unterstützung und Aufsicht ist denkbar ungerecht verteilt. Aus dieser Sicht verschärfen Hausaufgaben den Unterschied zwischen den Schülern und geben ein schiefes Bild – auch für den Lehrer – ab. Insofern sind sie ein Instrument, um die Schere der Chancenungleichheit weiter zu öffnen: Schüler aus einem privilegierten Umfeld erfahren zusätzliche Belehrung und Unterweisung, solche aus prekärem dagegen zusätzliche Benachteiligung und negative Bestätigung.

Zwischen Hausaufgaben und Lernen besteht ein Unterschied. Hausaufgaben können rein formal eine häusliche Arbeit bezeichnen, vorbereitend, nachbereitend, obligatorisch oder ritualisiert. Lernen – also klassischerweise das 1×1, das Alphabet, Formeln, Glossare, Vokabeln, das muss jeder irgendwie bewältigen, sonst ist er bei Klassenarbeiten hilflos. Auch Lesen geht nicht ohne Übung. Wie soll man sonst je schriftliche Aufgabenstellungen interpretieren können?

Bei Unterrichtsbeurteilungen wird, wenn Hausaufgaben beteiligt sind, folgender Punkt abgehandelt: Ist die Hausaufgabe sinnvoll gestellt? Das heißt, ist sie nur eine Formalität, oder ergibt sie sich, schon in der Vorbereitung bedacht, aus dem Unterrichtziel?

Das Bedürfnis von Grundschulkindern nach Hausaufgaben ist gleichsam Ausdruck des veränderten Selbstverständnisses als Schulkind. Diese Haltung zu dem neuen Lebensabschnitt gilt es für den Lehrer zu nutzen und zu fördern. Mit Hausaufgaben verbindet sich der verständliche Wunsch, sie zu vorzuzeigen, vorzutragen und gewürdigt zu erleben. Also sind sie als ein Grundbedürfnis nach eigener Produktion sowie nach deren kritischer Betrachtung und ernsthafter Anerkennung zu bewerten.

Kinder suchen keine grenzenlose Freiheit, sondern Führung und Vorbilder, um stark zu werden. Dafür ist Disziplin unerlässlich. Laissez-faire und Laxheit wird als Führungsschwäche und pädagogisches Desinteresse interpretiert. Achtung genießt der strenge, fordernde, aber zugewandte Lehrer, der dem Schüler “nicht nur die Hand gibt, sondern auch die Stirn bietet”, dem es nicht egal ist, was der Schüler tut. Das ist pädagogische Konsquenz. Ein treffendes Wort für Disziplin ohne Erniedrigung, Unterdrückung und Sadismus ist “herzliche Strenge”. [1]

Strenge hat urprünglich keinen negativen Unterton. Das Wort bedeutete nämlich primär scharfes Anziehen, also Tapferkeit, Kraft und Stärke. Darin steckt sich anstrengen. Als gültigen Begriff der Strenge könnte man die Übertragung der Anstrengung, also die Anspannung der Muskeln und Sehnen, auf den Geist verstehen. Das drückt eben auch das englische Äquivalent strength aus.

Bei Elternabenden habe ich als eines der Hauptanliegen der Eltern das Thema Hausaufgaben erlebt. Ich habe das so verstanden, dass es das elterliche Instrument ist, das es erlaubt, Einsicht, Kommunikation, Kontrolle in und über schulisches Geschehen herzustellen und – aus Elternsicht – unproduktives Freizeitverhalten zu steuern und zu begrenzen.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen und Überlegungen plädiere ich dennoch und gerade für Hausaufgaben, allerdings in einem zeitlich und inhaltlich eng gesteckten Rahmen, also bewältigbar und überschaubar für den Produzenten, den Schüler, die möglichen Beaufsichtiger, Eltern und Helfer, und den Kontrolleur, den Lehrer. Denn unbeachtete Werke, unkorrigierte Fehler demotivieren und desorientieren den Schüler. Sie verwehren dazu dem Lehrer die Chance, Rückschlüsse auf den Lehr- und Lernerfolg zu ziehen.

[1] So bezeichnet von dem Autor Michael Felten in einer Sendung über Disziplin im Politischen Feuilleton bei Deutschland-Radio-Kultur am 10.02.2011.

Gunhild Simon
Mrz 16 2011

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