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Heiden und Barbaren

Weihnachten ist das Fest des Kommerzes. Aber gerade in Krisenzeiten wird man bescheidener und besinnt sich auf Inwendiges, Beständiges, Wertvolles, auf Familie und Tradition. Man geht zur Kirche.

Am 1. Advent, dem Beginn der Zeit der Erwartung des Heilands, des Erlösers, und am Heiligen Abend, dem Fest seiner Geburt, will ohne den Kirchgang keine rechte Besinnlichkeit und Feststimmung aufkommen.

In der Kirche stehen die alten Lieder auf der Tafel, die sogar die erweiterte Festgemeinde mitsingen kann.

Eines, ein sehr alter Luthertext nach einer noch älteren Vorlage aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert, fängt so an: “Nun komm der Heiden Heiland” [1].

Heiden in einem Adventslied! Was ist das eigentlich, ein Heide? Und warum singen wir davon?

Dieser Satz ist eine Übersetzung von Veni redemptor gentium, “Komm, Erlöser der Völker”. Hier steht Heiden für Völker, lateinisch  gentes. “Gentes” heißt im Bibellatein soviel wie “Heiden”. Es ist eine Lehnbedeutung nach griechisch ethne, dieses wiederum nach hebräisch gojim.

Der frühmittelalterliche Text des Ambrosius [1] nimmt offensichtlich Bezug auf das Alte Testament, das mit “Völker” die Nichtjuden meint. Das hat die frühe Christenheit als Unterscheidungsmerkmal aufgenommen, um Heidenchristen gegenüber Judenchristen zu kennzeichnen, also solche Gemeindeglieder, die bei ihrer Taufe nicht aus dem jüdischen Volk stammten. “Heide” stand im frühchristlichen Sprachgebrauch im Gegensatz zu “Jude” als Spross des auserwählten Volkes vom Stamme Judas und Jakobs.

Dieser Heidenbegriff wurde in seiner alttestamentarischen Aussage über das lästerliche, ungebührliche heidnische Auftreten [2] verstärkt, wenn es nicht sogar einen Bedeutungswandel erfahren hat, denn mit dem Heiden verbindet sich die Vorstellung des Wilden, Schrecklichen und Bösen.

Das Wort Heide ist wie viele andere auf -e endende Maskulina ursprünglich ein Adjektiv. Es lautet althochdeutsch heidan, mittelhochdeutsch heiden. Das entspricht lateinisch ethnicus. Daraus leitete sich zunächst heidenisch ab, was die jetzige Adjektivbildung heidnisch erklärt.

In der Sprache der Literatur und der Bibel wird “Heide” als Vergleich herangezogen, um unchristliches und ungebührliches Verhalten zu geißeln: schwören, fluchen oder sich gebärden wie ein Heide, schreien, auffahren wie ein betrunkener Heide, ärger denn ein Heide sein, plappern wie die Heiden, leben wie ein Heide, ein böser, ein wilder Heide. [3]

Daraus erklärt sich, dass “Heiden-” als erstes Glied eines Kompositums in der Alltagssprache als Verstärkung im Sinne von “überaus”, “in hohem Grade” dient: z. B. Heidenangst, Heidenschrecken, Heidenärger, Heidenarbeit, Heidengeld, Heidenspaß, Heidenspektakel, Heidenlärm und das Adjektiv heidenmäßig. [3]

Eine vergleichbare Funktion haben auch andere bedeutungsmäßig ähnliche Verstärkungen: Mords-, mordsmäßig, fürchterlich, furchtbar, schrecklich, barbarisch.

Aus “Barbaren” erschließen sich die Vorgänger der Heiden aus dem klassisch-hellenistischen Altertum. Das waren zunächst Fremde, Ausländer. Barbaren. griechisch bárbaroi, sanskrit barbarah, wörtlich “Stammler, Laller”, waren alle jene, die die griechische Sprache nicht beherrschten. Diesen Umstand beschreibt Homer in der “Ilias” noch wertfrei als “barbarophon”, barbarophonoi. Erst später wird der Begriff Barbaren zum allgemeinen Synonym für kulturell Unterlegene. Für die Römer war das Barbaricum, die Barbarei, das “unzivilisierte” Gebiet außerhalb ihres Imperiums, barbari, Barbaren, Unzivilisierte ohne griechisch-römische Bildung. Bei den Römern war barbarus, Barbar, eine grobe Beleidigung. Im heutigen Sprachgebrauch steht barbarisch für rohes, lautes und gewalttätiges Auftreten.

Barbaren und Heiden aus unzivilisierten Gebieten waren beängstigend und furchteinflößend, weil sie unbekannte, und daher unheimliche Rituale pflegten.

Diese Verstärkung verfestigte sich umso mehr im christlichen Abendland, je mehr Fremdheit mit Heidentum assoziiert wurde. Heiden waren in den Glaubenskriegen die Türken aus dem Osten und die Sarazenen aus dem Westen und bei der Mission der Kolonialzeit die ungläubigen “Wilden”. Es waren auch vorüberziehende Fremde, maurische und selbst sizilianische Kaufleute, Zigeuner. Deshalb heißt ein Zigeuner im Schweizerischen immer noch mundartlich Heid, im Holländischen ein Landstreicher heiden, eine Landstreicherin heidin. [3]

[1] EG 4, Martin Luther 1524, nach: Veni redemptor gentium, Mailand um 397
      Text: Veni, Redemptor Gentium
[2] Der Büchmann weiß, daß der Heidenlärm sich aus Psalm 2,7 herleitet:
      ”Warum toben die Heiden und murren die Völker so vergeblich?”
[3] Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm: HEIDE

Gunhild Simon
Dez 08 2009

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