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Heidenangst

Heidenangst – was ist das? Heidenangst ist mehr als Besorgnis und Furcht. Man fühlt darin eine Urangst vor unkontrollierbaren Wilden.

Unter Heiden verstand man früher diejenigen, die außerhalb der Gemeinschaft Gläubiger standen. Das Wort ist ursprünglich eine Lehnübersetzung von lateinisch paganus, eine Art geistlicher Zivilist im Gegensatz zu miles- oder fidelis christianus, Nachfolger Christi, Gläubiger. Heute nennen sich diejenigen – augenzwinkernd – Heiden, die innerhalb der sozialen Gemeinschaft stehen, ohne getauft zu sein. Heiden klingt zu Zeiten der Toleranz, Globalität und Religionsfreiheit nach mittelalterlicher Dunkelheit und Enge.

Und tatsächlich, es ist ein Wort, das besonders der frühen protestantischen Sprache verhaftet ist. Luther bediente sich dieses Wortes bei der Übersetzung des Neuen Testaments aus einer griechischen Schrift, der Septuaginta, des Erasmus von Rotterdam, dem eine lateinische Übersetzung, die Vulgata, beigegeben war. Die lateinische Fassung des Psalms 2.1 lautet: Quare fremuerent gentes, et populi meditati sunt inania«? – »Warumb toben die Heiden, Vnd die Leute reden so vergeblich«? , was man mit “Weshalb lärmen fremde Völker und sprechen so viel Nutzloses?”[1] ausdrücken könnte. Luther übersetzte dies Textstelle folgendermaßen: “Warumb toben die Heyden?”. Dass er hier das Bild tobender Heiden ins Spiel bringt, könnte eine Erklärung für den Begriff des Heidenlärms im protestantischen Wortschatz sein.

Das lateinische Wort gentes bedeutet eigentlich nur Völker, von Juden als nichtjüdische Völker verstanden. Im hebräischen Urtext steht gojim, was zunächst das Gleiche bedeutete und erst danach in Ungläubige umgedeutet wurde. Dennoch lautet die Zusage an Abraham [2], ihn zu einem großen goj, einem großen Volk zu machen.

Die Zusammensetzung mit Heiden- als Inbegriff der Gottlosigkeit und Unmäßigkeit ließ sich von da auf anderes übertragen: Heidenblindheit, Heidenmusik, Heidenlärm, Heidenspektakel, Heidenkrach, Heidenspaß, Heidenschreck, Heidenzorn, Heidengeld, Heidenwetter, Heidenarbeit. Heute bedeutet der Zusatz Heiden- nurmehr die Verkehrung ins Negative, Unmäßige.

Heidenarbeit ist insbesondere unter einem historischen Gesichtspunkt zu betrachten. Im Mittelalter konnten nur Christen Land erwerben. Das ebenfalls wohlangesehene Handwerk war in Zünften organisiert, die nur Christen zugänglich waren. Daher blieben Heiden, Nichtchristen die unangesehenen, schweren, gefährlichen Tätigkeiten: Geldhändler, Brunnenputzer, Scherenschleifer, Kesselflicker.

Die Fremdheit der Sitten, das Unchristliche, Ungezügelte, Furchterregende hat für die Vorstellung von den Heiden Pate gestanden: bis an die Zähne bewaffnete gedungene Krieger in fürchterlicher Kriegsbemalung und drohend monströsen Gehörnen als Kopfschmuck, waffenklirrend und kriegslärmend mit Rasseln und Trommeln, die durch ihr unzivilisertes Gebaren und ihre bedrohliche Erscheinung die braven Christenmenschen in Angst und Schrecken versetzen. [3]

Diese Ablehnung des Fremden, Ungläubigen, Nichtchristlichen spiegelt sich auch im schweizerischen Aargau-Dialekt wider, wenn statt Heiden Ketzer, chätzern, beschworen werden. Der Begriff hat sich ebenso hier verselbständigt und lässt sich mit Ähnlichem, dem christlichen Wortschatz Entflossenen vergleichen: verdammt, verflucht, vermaledeit. “Warum geht die chätzers (verdammte) Tür nicht auf?”.

[1]“*²Heide* schw. M., ahd. /heidan/, mhd. /heiden/ (->/Christ/); urspr. war
/heiden/ überwiegend Adj.; Abl. vom F. /H./, Lehnübers. von lat. /paganus/,
zunächst i.Ggs. zum /miles/ und /fidelis Christianus/ *1* >geistlicher
Zivilist<, >außerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen Stehender<, Ende des
4. Jhs. von der christl. Polemik auf die rückständige (und darum noch
heidnische) Landbevölkerung bezogen (vgl. CMohrmann, Vigil. Christ. 6,109
und WSchmid, Rhein. Mus.f.Phil. 96/1953,160); im MA *2* >der nicht Christ
oder Jude ist<, bes. auch die Mohammedaner, dann und so bis heute diese
eingeschlossen. Erst jung und eher bildungsspr. *3* >Ggs. zu Monotheist<;
ugs. *4* >der innerhalb der christlichen Gemeinschaft lebende Ungläubige
oder Nichtrechtgläubige<. Aus der Vorstellung von etwas Schrecklichem, die
sich in der Volksphantasie an das Wort knüpft, erklärt sich die ugs.
Verwendung in Zuss. als Verstärkung: /Heidenangst, -geld, -krach, -lärm,/
/-mäßig, -spektakel/ - alle erst 19. Jh., aber vgl. Lu. Ps. 2,1 /Warumb/
/toben die Heyden/ für /quare fremuerent gentes/."
(Quelle: Hermann Paul : "Deutsches Wörterbuch". - 10. überarbeitete und
erweiterte Auflage. - Tübingen : Niemeyer, 2002)

[2] Genesis 12.2

[3] Dieses Bild der Heiden wird einem in dem Film "Robin Hood, König der Diebe", erschreckend nahegebracht 1990: Ein keltisches Söldnerheer erhebt sich apokalyptisch wie aus dem Nichts gegen die zwar gewitzten, aber harmlos bewaffneten aufständischen Bauern. Oder: Dem düsteren Kerker grausamer Sarrazenen im heidnischen Jerusalem zu entkommen, grenzt für die gefangenen, foltertodbedrohten Kreuzfahrer an ein Wunder.

Gunhild Simon
Feb 06 2011

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