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Hildegard von Bingen - Vision und Mystik

Hildegard von Bingen war eine der wenigen mittelalterlichen Frauengestalten, die theologisch eine Rolle spielten. Geleitet durch ihre Visionen beanspruchte sie für sich, gleich einer Stimme Gottes seinen Willen prophetisch zu verkünden.

Hildegard war als zehntes Kind gräflich wohlhabender Eltern bereits mit acht Jahren, wie damals üblich, der Kirche zur Erziehung überantwortet worden. Damit war der Weg zu einer geistlichen Karriere vorgezeichnet. Gemeinsam mit einer Mitschwester wird sie fortan in klösterlichen Tugenden unterrichtet. Ihre geistliche Erzieherin ist Jutta von Spanheim. Nach deren Tod übernimmt sie das Amt der Meisterin, der Magistra.

Die Mädchen leben zunächst mit einer kleinen Gruppe von Nonnen in einer Klause, die dem Kloster der Benediktinermönche Disibodenberg bei Bad Kreuznach untersteht.

Im Mittelalter hatte die Klause eine besondere Bedeutung als Ort klösterlicher Abgeschiedenheit und Askese.

In Kloster und Klause erkennt man denselben Wortstamm, lateinisch claudere, claudo, clausi, clausum, schließen, claustra, n. bzw. claustrum, n. Verschluß, Versiegelung. Heute verwendet man Klause als Begriff für einen engen Raum, eine Mönchszelle, eine Kammer und sogar für ein kleine Schankwirtschft. Auch in anderen Fremdwörtern ist das Wort enthalten: Klaustrophobie, Angst vor verschlossenen Räumen, Klausel, die Schlußformel, verklausulieren, in Formeln fassen, Klausur, Abgeschiedenheit und beaufsichtigte Prüfungsarbeit. Französisch lautet cloître, Kloster, daneben auch monastère, lateinisch monasterium ,n., englisch monastery, ein Wort, das sich noch in dem männlichen Insassen, Mönch, zu erkennen gibt.

Das Dasein derjenigen, die sich als Klausner, Inklusen, absonderten, war extrem eremitisch. Inkluse - von lateinisch inclusio, Einschließung - war eine lebenslange oder zumindest zeitweise Einmauerung, um sich einer selbstauferlegten Prüfung zu unterziehen.

Klausen waren nach strengen Vorschriften gebaut. In ihrem Urbild grenzten sie nördlich an die Klosterkirche, um den Inklusen den Blick durch ein verhängtes Fenster auf den Altar und die Teilnahme an Gottesdienst und Kommunion zu gestatten. Die Einrichtung war äußerst karg als Ausdruck der Askese, ein vergittertes Fenster zur Außenwelt und zur Versorgung ein Gärtchen. [1]

Auch der klösterliche Habitus drückt Bescheidenheit und Askese aus. Das Gebot ist der Verzicht auf jede Bequemlichkeit und Lustbarkeit, die Selbstauferlegung besteht in Kargheit und Kasteiung als Zeichen der Buße und Nachfolge im Leiden Christi. Selbstmarterung durch Fasten, Frieren, Peitschenhiebe und nicht lockerbare Eisengürtel waren übliche Praktiken, um sich zu geißeln.

Unter Hildegards Vorsitz verändern sich die starren Klosteregeln. Der Orden wird unter ihrer Führung attraktiv für junge, schwärmerische Frauen, wächst und nimmt an Vermögen zu. Deshalb wird ein Standortwechsel für eine Neugründung nötig. Die Wahl fällt auf einen Ort, den Hildegard in einer Seelenschau erblickt hatte, sodass sie ihn sie, ohne ihn zu kennen, beschreibt. Es ist der Rupertsberg an der Einmündung der Nahe in den Rhein.

Damals war es adeligen Frauen vorbehalten, ein Klosterleben zu führen. Die mit dem Aufbau verbundenen körperlichen Zumutungen werden aber nicht nur mit Freude aufgenommen. Der Magistra Seelenkräfte - Autorität, Überzeugung und Charisma - ist es schließlich zu verdanken, dass der Aufbau zügig vonstatten geht und das Kloster geistlich und materiell unabhängig von seinem Stammkloster erblüht. Der Erzbischof von Mainz ist sein Schutzherr.

Die Visionen der metaphysisch Begabten schreibt ihr Sekretär Volmar in lateinischer Sprache auf. Auch die junge Adlige, Richardis von Stade, zu der sie eine tiefe, mütterliche Freundschaft empfindet, ist ihre Vertraute und Dokumentatorin. Als sie abberufen wird, um selbst als Schwester des Erzbischofs von Bremen einem Kloster als Äbtissin vorzustehen, ist dies für Hildegard ein schwerer Verlust.

Obwohl damals nur Männer berechtigt waren zu schreiben und zu lehren, hatte Hildegard durch die entschiedene Fürsprache Bernhards von Clairvaux und kraft der Anerkennung ihrer seherischen, prophetischen Gaben durch den Papst nicht nur die Erlaubnis, sondern sogar den Auftrag, ihre Visionen zu veröffentlichen und sogar predigend zu verbreiten. [2]

Heute ordnen Neurologen ihre visionäre Begabung ein als Symptomatik einer Migräneform, die von einem Schauen einer Aura, eines hellen Lichtes, gekennzeichnet ist. Man nennt diese Besonderheit Skotom.

Seit Anfang Oktober kann man man die Verfilmung des historischen Stoffs betrachten. Der Film heißt “Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen”. Die Regie führte Margarethe von Trotta, Barbara Sukowa ist in der Titelrolle zu sehen. Beide Namen, und auch die der übrigen Schauspieler - Lena Stolze, Heino Ferch, Hannah Herzsprung, Sunniye Melles - bürgen für Qualität. Was die historischen Recherchen anbelangt, ist an dem Film nichts auszusetzen.

Dennoch bleibt der Film blass, die Szenen reihen sich ohne rechten inneren Zusammenhang aneinander. Es wird umarmt, geküsst, gestorben, gearbeitet, aber all das wirkt gestellt, kostümiert, konstruiert, weil die Figuren und ihre Seelenlage nicht entwickelt werden, sondern sich Impressionen mit oberflächlich atmosphärischem Anschein aneinanderreihen.

Hier einige Beispiele:
-Die Abnahme des Eisengürtels aus dem verfaulenden Fleisch der sterbenden Alt-Magistra wird zum Ekelszenarium, ohne jedoch diese Scheußlichkeit zu erläutern.
- Eine junge Nonne, deren hübsches Gesicht bereits wie zufällig dem Zuschauer vertraut ist, offenbart ihre Schwangerschaft. Ihre aussichtslose Lage veranlasst sie zum Freitod. Sie ergreift einen Giftpilz und liegt im Tod ausgebreitet entseelt im Garten.
- Der Unterricht in der Heilkräuterkunde im Klostergarten ist eine Kindergartenidylle, dessen Zstandekommen kaum durch den Aufenthalt in der Natur dokumeniert wird.
- Die tätige Mitarbeit der Nonnen am Aufbau des Klosterneubaus zeitigt leichte Schmutzspuren am weißen Leinen oder am dunklen Rocksaum, obwohl die Unwirtlichkeit des novemberfeuchten Laubwaldes deutlich erkennbar ist.
- Die Einübung eines weltlichen Singspiels gerät zur Hervorkehrung der bis dahin verborgen gebliebenen Lieblichkeit der Nonnen.

Im Ganzen empfand ich den Film eigenartig leblos und steif, ohne dass man dafür die mittelalterlichen Umgangsformen verantwortlich machen könnte.

[1] geldria-religiosa.de - Über Inklusen

[2] wolfgang-schuhmacher.de - Hildegard über ihre visionäre Begabung

Gunhild Simon
7.10.2009

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