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Ins Narrnkastl schauen

Narrnkastl ist ein typisch österreichischer, ein Wiener Ausdruck.
Was ist ein Narrenkasten?

Narrenkasten kann eine Art Briefkasten sein, wo zu Fastnachtsbeginn närrische Vorschläge über Missgeschicke anonym zur späteren Verwertung und Vorführung gesammelt werden.

Historisch ist der Narrenkasten allerdings etwas gar nicht Närrisches, sondern ein Inbegriff schwerer Drangsal. Der Narrenkasten oder der Narrenkäfig war eine Art mittelalterlicher Pranger, wo diejenigen, die gegen die Gesetze oder die öffentliche Ordnung verstoßen hatten, vorgeführt wurden.

Holz- und Felddiebe wurden darin eingesperrt. Ebenso Witwen, die gegen die Keuschheit des Witwenstands verstoßen hatten, bevor sie schließlich bar jedes weiteren öffentlichen Unterhalts mit Schimpf und Schande davongejagt und dadurch dem Untergang preisgegeben wurden. [1]

Der Narrenkäfig diente nicht nur der Vorführung von Narren, also geistig Behinderter, sondern auch anderer Unangepasster oder Verfolgter. So sah man in dem Film “König der letzten Tage” über die Bewegung der Wiedertäufer im ausgehenden Mittelalter, wie der charismatische gefangene Sektenführer in einem Narrenkäfig an der Münsteraner Lambertikirche öffentlich zur Schau gestellt wurde. [2]

Aber diese Arten des Narrenkastens können nicht gemeint sein, wenn man die Wendung “ins Narrnkastl schauen” gebraucht. Heutzutage wird sie sogar als saloppe Bezeichnung für das Fernsehen gewählt – wie in Norddeutschland die “Glotze”, die “viereckige Augen” macht, als Kennzeichnung für wahllosen Fernsehkonsum steht.

Die eigentliche Bedeutung der Wendung ist jedoch eine andere: Damit ist ein nichts fixierender Blick, gedankenloses Starren in eine Richtung, verträumtes Schauen, ja, sogar Luftschlösser bauen gemeint. So kann man nämlich nur in ein Kastl, ein Kästchen, schauen, das für normale Augen unsichtbar ist, das nur Narren und Träumer sehen können. Das ist das Narrenkästchen.

In Ludwig Anzengrubers Roman “Der Sternsteinhof. Eine Dorfgeschichte” (1883-1884) heißt es schon:
“Nun geschah es oft, daß der Toni mitten unterm Essen Gabel und
Messer aus der Hand legte; statt der Arbeit nachzugehen in irgend
einem Winkel stand, saß oder lehnte und in das Narrenkastel guckte,
das heißt, ausdruckslos vor sich hinstarrte; …” [3]

Selbst in medizinischen Beschreibungen von Trancezuständen hat der Ausdruck Eingang gefunden: Man starrt vor sich hin – ins Narrenkastl – und erlebt gar eine Spontan-Trance.

Das Bild des Narrenkastens ist also dabei gar nicht in seiner ursprünglichen Bedeutung gemeint, sondern der verträumte Blick, den sich nur noch ein Narr – das ist möglicherweise ein in Liebestorheit Versponnener – erlauben kann. Er gilt eben jenem Trugbild, das nur der Tagträumer sich erlaubt. [4]

Dazu gibt es ein Lied, einen Schlager, der denjenigen, die sich daran erinnern, feuchte Augen macht. Er drückt beides aus: Verliebtheit und Träumerei. Hier beschreibt das Lied die verträumte Erinnerung an die Frage, wie ein Mädchen anzusprechen gewesen sei, das einem so gefällt – so gefiel – dass man ihr Gesicht auch noch nach so langen Jahren vor Augen hat.

Hier der Anfang des Textes “Du entschuldige, I kenn di”:
“Wann I oft a bisserl ins Narr’nkasterl schau,
Dann siech I a Maderl mit Augen so blau … ”

[1] uni-heidelberg.de – Narrenkasten

[2] videobuster.de – König der letzten Tage

[3] (Aus dem Buch “Gesammelte Werke von Ludwig Anzengruber. In zehn
Bänden.” Zweite durchgesehene Auflage, Erster Band, Stuttgart, 1892,
S. 54

[4] “Nar|ren|kastl (ugs.) (nur in der Wendung): ins N. schauen (gedankenlos vor sich hinstarren)” (ÖWB 40, p.456)

Gunhild Simon
Nov 02 2009

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