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Irrsal und Wirrsal - das Ableitungssuffix -sal

Abkömmlinge von Wörtern heißen Derivate. Das Wort Derivat bedeutet Ableitung. Eine Ableitung entsteht aus einem Wortstamm, dem ein kennzeichnendes Affix, eine Endung oder Vorsilbe, hinzugefügt wird, um ein neues Wort zu bilden.

Neue Substantive können durch Suffixe, Nachsilben, oder Präfixe, Vorsilben, zustandekommen. Die gebräuchlichsten Suffixe sind -heit, -keit, -ung, -nis, -tum oder -schaft, wie sie in Schönheit, Lieblichkeit, Erscheinung, Ereignis, Altertum und Meisterschaft zum Ausdruck kommen. Einige Suffixe haben eine eigene Bedeutung, die sich intuitiv erschließt. [1]

Unabhängig von dem Suffix -sal gab es zwei formal und bedeutungsmäßig sich damit überschneidende Wörter, die untergegangen sind. Es handelt sich um die Substantive die sal, die sahl und die saelde.

Sal, sahl hat die Bedeutung Gabe, Übergabe, althochdeutsch sala, mittelhochdeutsch sale, im Deutschen erhalten in Sold und dem englischen sale, Verkauf. Im Schwedischen bedeutet sala Strafe, eine Gabe im unfreundlichen Sinn. Dieser Gedanke ist auch enthalten in zahlen, insbesondere heimzahlen. Im Sachsenspiegel kommen zwei Rechtsgüter vor, die sich so erklären lassen. Die Ursal, eine Art Witwenrente, eine rechtsverbindliche Gabe, und die Fluchtsal, die Strafe für eine pflichtwidrige Flucht.

Andererseits gab es das untergegangene gotische Wort saelde mit der Bedeutung, inneres Glück, Beglücktheit. Dem entspricht das mittelhochdeutsches Adjektiv selec, innerlich beglückt, urverwandt mit lateinisch solari, trösten.

In dem Adjektiv selig, glückerfüllt, gesegnet, leben diese Wurzeln fort. Es hat gar eine volkstümliche Konnotation von glückselig, glückstrunken. Umgekehrt hat weinselig, betrunken, die Endung -selig. Zu selig gehören die Ableitungen Seligkeit, beseligen, die gleichermaßen nichts mit der Seele, sondern mit innerer Beglückung zu tun haben. Dieses Adjektiv gesellt sich zu wenigen mit -sal verbundenen Substantiven als entsprechendes adjektivisches Kompositumsglied.

Beispiele aus der lebendigen Sprache sind Trübsal - trübselig, Mühsal - mühselig und Scheusal - scheußlich. Von dem Wesen, das man scheut, weil es scheu-selig ist, ist es umgedeutet zu einem figürlichen Scheusal, einem scheußlichen Ungeheuer. Das Kompositumsglied -selig ist präsent in vielen Adjektiven, die eine direkte Entsprechung in einem ihrerseits abgeleiteten Substantiv haben. Daran zeigt sich, dass sich -selig und -seligkeit als produktive Kompostitumsglieder noch immer verwenden lassen.
mühselig - Mühseligkeit
trübselig - Trübseligkeit
weinselig - Weinseligkeit
leutselig - Leutseligkeit
armselig - Armseligkeit
redselig - Redseligkeit
rührselig - Rührseligkeit
gottselig - Gottseligkeit
saumselig - Saumseligkeit
glückselig - Glückseligkeit
unglückselig - Unglückseligkeit
unselig - Unseligkeit

Substantive mit der Nachsilbe -sal sind selten in der lebendigen Sprache, denn -sal ist nicht mehr produktiv als Ableitungssuffix. In abgeschwächter Form erscheint -sal noch in einigen Wörtern als -sel, wie in Häcksel, Füllsel, Anhängsel, Gerinnsel, Rätsel, Überbleibsel.

Während mit anderen Suffixen je nach ihrer Bestimmung beliebige Substantive erzeugt werden, haben solche mit -sal einen dichterischen, gehobenen Klang. Sie dienten traditionell bereits zu Bildung von Abstrakta. Durch wechselnde Genera erscheinen diese Substantive zusätzlich befremdlich.

Im heutigen Sprachgebrauch sind die folgenden noch üblich:

Rinnsal, Schicksal, Scheusal (Neutra),
Labsal (Neutrum und Femininum),
Mühsal, Trübsal, Drangsal (Feminina)

Das war nicht immer so. In dichterischer Sprache finden sich zahlreiche Wörter, die sich, wenngleich sie ungewöhnlich anmuten, dennoch erschließen.

Glücksal - glückselig, glückstrunken
Unsal - unselig, unglücklch
Saumsal, Nachlässigkeit - saumselig

Während bei diesen die zugehörigen Adjektive geläufig klingen, ist von den Substantiven nur Saumsal noch bei Lessing zu finden.

Irrsal und Wirrsal, zwei Wörter, die Martin Buber der Luther-Übersetzung der Genesis 1,1 gegenüberstellt: “Die Erde aber war wüst und leer” - “Die Erde aber war Irrsal und Wirrsal”, ein Sprachgebrauch, der sogar der hebräischen Vorlage mehr entgegenkommt. Auch Thomas Mann gebraucht Irrsal in seiner Novelle “Tonio Kröger” als eine Erweiterung des Begriffs Irrtum. [2]

Und hier noch eine Liste untergegangener Wörter, deren Quelle das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm [3] ist. Als Abkürzung findet sich dahinter das bemerkenswert wechselnde Genus zwischen m. - maskulinum, f. - femininum, n. - neutrum:

Achtsal, f. (Elend, Verachtung), Fluchtsal, f. (Fluchtstrafe), Fuhrsal, n. (Nahrung), Füllsal, n. (Füllsel), Gramsal, n. und gelegentlich f. (Kummer), dazu andere Schreibweisen wie Gräusal, Grüsal, Gräusal, Greusal m. und n. (Grusel, Graus, Griesel), Grimmsal, n. (Zorn), Hartsal, f. oder n. (hartes Los), Hindersal, n. (Hindernis), Rachsal, f. und m. (Rache), Ratsal, n. (Beratung), Reusal, m. (Reue, Bekümmernis), Scheinsal, m. (Anschein), Sorgsal, f. (Besorgnis), Trugsal, n. (Trug), Wanksal, n. (Zaudern), Wehsal, n. (Leid), Zwangsal, n. (Qual)

[1] blog.institut1: Nominalisierung und Derivation - die Suffixe -heit, -keit, -ung, -schaft, -tum, -nis und -sal

[2] Zeno.org: Irrsal, das

[3] Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm: Sal

Gunhild Simon
30.07.2009

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