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Metonymie oder Enallage als Stilmittel

Die Untersuchung der Sprache ist kulturell von den Griechen geprägt. Mit dem Aufstieg Roms zur herrschenden Macht im politisch bedeutsamen europäischen Raum erbten die Römer auch die Definitionsmacht der Wissenschaftsterminologie. Deshalb basiert auch heute noch die Wissenschaftssprache auf dem Griechischen und Lateinischen.

Die meisten Begriffe, die Sprachanalyse und Grammatik betreffen, sind griechischen und lateinischen Ursprungs.
In der Rhetorik, dem Fach, das die Römer nach klassischem griechischen Muster in ihren Rhetorikschulen weiterentwickelten, sind griechische Termini für rhetorische Figuren unverändert erhalten. [1]

In der Rhetorik, der Redekunst, fließen Grammatik, insbesondere Syntaktik, die Lehre vom Zusammenhang der Wörter im Satzbau, aber auch Semantik, die Lehre von Wortbedeutung und Inhalt, zusammen. Und hier kommt noch das andere Feld der Grammatik, das der Wortlehre und der Wortbildung, ins Spiel. Denn Rhetorik bedient sich gewisser Strukturen, die gegen die Sprachlogik gerichtet sind. Vor diesem Hintergrund sind sprachwidrige und widersinnige, Bilder zu verstehen, wie sie durch das Stilmittel Enallage oder Hyperlage erzeugt werden.

Der griechische Fachbegriff für Stilmittel lautet Tropus, Plural Tropen. Die griechischen Begriffe Enallage und Hypallage werden synonym gebraucht. Sie bezeichnen eine Stilfigur, deren Inhalt in Verwechslung, Vertauschung oder Umkehrung besteht. Enallage und Hypallage sind also Verschiebungen von Aussagen auf einen anderen, originär gar nicht betroffenen Umstand, etwa die Zuordnung eines Genitivattributes zu einem anderen, scheinbar unsinnigen Satzglied. Diese Stilfigur bezieht ihre Wirkung aus einer sinngemäßen Assoziierung, einer Voraussetzung, die im allgemeinen Gebrauch der Sprachgemeinschaft verwurzelt ist.

Ein Beispiel dafür aus der Poesie lautet “das blaue Lächeln seiner Augen” statt “das Lächeln seiner blauen Augen”.
Ein weiteres ist die folgende rhetorische Figur, die ihren Witz aus der figürlichen Anschauung bezieht:“barbatuli iuvenes”,”bärtleinhafte” Jungen = Jungen mit wenig Bart, was eigentlich bedeutet “Jüngelchen – doch schon mit Bartwuchs”.

Grammatisch betrachtet heißt Übertragung Metonymie. Metonymie ist die Umwandlung eines bedeutungsverwandten Wortes in die Rolle eines Oberbegriffs. So steht hinter “Unser täglich Brot” eigentlich “Nahrung”, hinter “Goethe lesen” “ein Buch lesen, dessen Autor Goethe ist”. Auf der rhetorischen Ebene verbirgt sich darin die Möglichkeit, ein logisches Verhältnis zu verkehren.

Ein bemerkenswertes Beispiel für eine Enallage findet sich der Ballade “Die Kraniche des Ibykus”: [2]

Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
Der Lieder süßen Mund Apoll.

Nun weiß man, dass nicht sein Mund süß war, sondern dass der Gesang, der aus seinem Mund kam, süß – und auch dies nur übertragen – war. Der “süße Mund” ist eine Metapher für die “süße Stimme”.

Auch hier wird das Genitivattribut an eine überraschende Position gerückt. In richtiger Satzstellung wartet der Satz mit einer ungeschickten Verkettung von zwei Genitivattributen auf, was nach deutscher Stillehre zu Recht als unschön und unübersichtlich gerügt wird. Obwohl er intuitiv inhaltlich gleich erfasst wird, ist es kaum möglich, den Satz in eine vernünftige syntaktische Form zu bringen. Eine Umformulierung ergibt schließlich Apoll verlieh ihm die Gabe des Gesanges der Lieder. Erst die Enallage mildert also den stilistischen Faux-pas des doppelten Genitivs: Apoll schenkte ihm die Begabung des Gesanges und eine wohllautende Stimme, die Lieder schön erklingen lässt.

Sprachstil und Metrik legen eine Übereinstimmung von Inhalt und Form nahe, eine Bestrebung, den Freund der Dichtkunst ins klassische Griechenland zu entrücken:

Und in Poseidons Fichtenhain
tritt er mit frommem Schauder ein.

Ins Profane zuechtgerückt ergäbe sich dies:

Ibykus war von Apollon, dem griechischen Gott der Künste, die Gabe einer schönen Stimme und des Leierspiels verliehen.

Entscheidend für die Treffsicherheit der Rede ist eine soziolinguistische Frage. Es ist die Frage nach der Deckung von Hören und Verstehen, nämlich, ob der Zuhörer der Rede das entnimmt, was auch der Redner vermitteln will. Das geschieht auf einer identischen Sprachebene. Sie hat einen soziokulturellen Aspekt.

[1] Beispiele mit ausführlichen Erklärungen hier: Stilfiguren

[2] literaturwelt.com – Die Kraniche des Ibykus

Gunhild Simon
Jun 20 2010

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