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Muße und Muse

Sie scheinen in unserer Kultur nahe beieinanderzuliegen, die Muße und die Muse. Jedenfalls unterliegen sie gerade deshalb, und wegen ihrer ähnlichen Schreibung und Aussprache, einer Verwechslungsgefahr. Dennoch ist ihre Wortherkunft ganz unterschiedlich.

Muße, Untätigkeit, freie Zeit, Ruhe, mittelhochdeutsch muoze, ist eine Substantivbildung zu müssen. Muße bedeutet “Gelegenheit, Möglichkeit, etwas zu tun”. Dazu gesellen sich das Adjektiv müßig, untätig, übertragen auch überflüssig, und die Verbbildung sich bemüßigt sehen, veranlasst sein.

Zu Festen, zu Tanz und Gesang, zu Musik und zum Theaterspiel kommen die Menschen, um sich zu zerstreuen und zu erbauen. Dafür bedarf es der Muße. Die Arbeit, die Alltagssorgen lässt man hinter sich. In Zeiten der Muße ist man müßig. Im klassischen Griechenland dachte man anders als wir über die Muße. Für die Griechen war nicht die saure und bittere Arbeit, sondern die künstlerische und kulturelle Betätigung sinnstiftend. Das Sprichwort “Müßiggang ist aller Laster Anfang” war ihnen fremd.

Die Musen, Töchter des Zeus, waren die griechischen Schutzgöttinnen der schönen Künste. Muse, lateinisch musa, griechisch mousa. Übertragen steht das Wort Muse auch für Inspiration und künstlerische Begeisterung: von der Muse beflügelt, von der Muse geküsst. Davon zeugen das Wort Musik, griechisch mousiké, Musenkunst, und Museum, eine griechische Bildung mouseion, Musentempel.

Zunächst gab es ihrer drei: Melete, die für Übung und Praxis stand, Mnerme, verwandt mit dem lateinischen Wort mens, Geist, Verstand, die Vertreterin von Gedächtnis und Erinnerung, und Aoedie, die Gesang und Lied repräsentierte.

Von Hesiod schließlich stammte die klassische Neunzahl. Auch ihre Namen waren sein Werk: Kalliope, “die Schönstimmige”, ihr Ressort war die epische Dichtung. Klio, “Ruf und Ansehen”, stand für Geschichte. Euterpe, “Frohsinn”, war für das Flötenspiel zuständig. Tscherpsicore, “Lebensfreude”, inspirierte die Chordichtung. Erato, “die Liebliche”, beflügelte Tanz und Gesang. Melpomene, “die Singende”, war die Schirmherrin der Tragödie. Zu ihr gesellte sich Thalia, das heißt “froher Mut”, als Muse der Komödie. Polyhymnia, “frohe Lieder”, stand der Pantomime zur Seite und Urania, “die Himmlische”, war die Göttin der Astronomie.

Das Festliche, das von der gemeinen Arbeit sich Abhebende, wofür die Musen ein Sinnbild sind, wurde unterstrichen durch die Vorstellung, die Musen, geflügelte Wesen, belebten mit Tanz, Gesang und Spiel die Festlichkeiten im Olymp der Götter. Muse heißt ursprünglich “die Sinnende”, weil zu Zeiten, als Dichter und Musiker sich ihre Texte, Lieder und Stücke auswendig aneignen mussten, Gedächtnis und Erinnerung eine immense Bedeutung hatten.

Gunhild Simon
Aug 26 2010

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