Thumulla.com

Mutterseelenallein

Eine Verstärkung von »allein«, die der Rede Farbe gibt, lautet »mutterseelenallein«.

Warum sollte man diesem so leicht zugänglichen, verständlichen Wort nachgehen – erklärt es sich nicht selbst?

Es drückt auf einer unmittelbaren Ebene die Empfindung äußerster Verlassenheit aus, wie man sie kleinen Kindern zuschreibt, die von ihrer Mutter im Stich gelassen wurden.

Der Hintergrund dieses Wortes hat aber eine noch andere Nuance. Spricht man von »Menschenkindern«, betrachtet man sie in ihrem Verhältnis zu Gott, als Kinder Gottes.

Waltraud Legros

»Am Anfang war da das französische moi tout seul – ich ganz allein. Dieses moi tout seul ergab in der phonetischen Eindeutschung zunächst mutterseel. Ein schönes Wort zwar, aber der Sinn war weg. Man fügte also den Sinn hinzu, allein, und schuf das schöne deutsche mutterseelenallein.«
Was die Wörter erzählen

Einwohner einer Gemeinde, eines Dorfes, Ortes, Kirchspiels, werden auch heute noch in Seelen gezählt. Dies wirkt heute wie ein Relikt barocker Wahrnehmung des menschlichen Wesens in seiner existentiellen Hinfälligkeit und Äußerlichkeit. Man verstand das diesseitige, das irdische Leben ja eher als Durchgangsstadium zu einem ewigen, jenseitigen Sein. Daraus leitet sich das Selbstverständnis als Erdenbürger, als Gast auf Zeit, als Glied eines Ganzen, der Gemeinde also, ab. Aus dieser Transzendenz erklärt sich auch die frühere Rolle der Kirche und die Doppelbedeuung der Bezeichnung Gemeinde und ihrer Seelenzahl in diesem Zusammenhang.

Beschreibt man eine Situation, wo »keine Menschenseele« ist, heißt dies, dass man ganz allein, ganz auf sich gestellt ist. Mutterseele hatte früher zunächst nur die Bedeutung Mensch. Dieser Begriff ist verschwunden. Übriggeblieben ist mutterseelenallein. Es bedeutet also eigentlich »in seiner menschlichen Existenz allein« oder auch »menschenallein«.

Das Wort »mutterseelenallein« in der deutschen Literatur

blog.institut1blog.institut1blog.institut1
VerfasserTitelAuszug
Josef Freiherr von EichendorffAus dem Leben eines Taugenichts (1), 1826Da stand ich nun unter Gottes freiem Himmel wieder auf dem stillen Platze mutterseelenallein, wie ich gestern angekommen war.
Ludwig AurbacherAbenteuer der sieben Schwaben und des Spiegelschwaben, 1827–1829An der Spitze aber marschierten wir, die Schwaben, sieben Mann hoch. Und wir stießen auf den Feind unweit Überlingen am Bodensee. Aber, sieh da! wie wir nun anrückten, wir Schwaben, in voller Hitze, immer vorwärts; da liefen indeß die übrigen alle davon, die Franken voran, drauf die andern, und die Österreicher deckten den Rückzug; und wir, die Sieben, sind mutterseelenallein zurückgeblieben und haben das Abenteuer bestanden, zum ewigen Ruhm der Schwaben.
Annette von Droste-HülshoffBriefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking, 1843Und jeden Nachmittag geh ich meine alten Wege am Seeufer, zwar mutterseelenallein, aber doch vergnügt, weil mich nichts stört, nicht mal ein neuer Rebpfahl.
Willibald AlexisDie Hosen des Herrn von Bredow (Sechstes Kapitel, Der späte Gast), 1846»Gottes Wunder, Herr von Lindenberg, wie kommen wir zu der Ehre?«
»Alle Heiligen mit Euch, liebe Base, das weiß ich selbst nicht.«
»Und ganz allein?«
»Mutterseelenallein. Wenn der Teufel die andern nicht holt, so tut’s der Sturm und das Wetter.«
Gutenberg-DE

blog.institut1


Gunhild Simon
31.07.2008

alle    deutsche Sprache    Gunhild Simon    Startseite(__index)



Thumulla.com    Startseite der Artikel    Links und Werbung    Diskussion    Suche auf dieser Seite