|
Mutterseelenallein
Eine Verstärkung von »allein«, die der Rede Farbe gibt, lautet »mutterseelenallein«.
Warum sollte man diesem so leicht zugänglichen, verständlichen Wort nachgehen – erklärt es sich nicht selbst?
Es drückt auf einer unmittelbaren Ebene die Empfindung äußerster Verlassenheit aus, wie man sie kleinen Kindern zuschreibt, die von ihrer Mutter im Stich gelassen wurden.
Der Hintergrund dieses Wortes hat aber eine noch andere Nuance. Spricht man von »Menschenkindern«, betrachtet man sie in ihrem Verhältnis zu Gott, als Kinder Gottes.
| »Am Anfang war da das französische moi tout seul – ich ganz allein. Dieses moi tout seul ergab in der phonetischen Eindeutschung zunächst mutterseel. Ein schönes Wort zwar, aber der Sinn war weg. Man fügte also den Sinn hinzu, allein, und schuf das schöne deutsche mutterseelenallein.« | Was die Wörter erzählen |
Einwohner einer Gemeinde, eines Dorfes, Ortes, Kirchspiels, werden auch heute noch in Seelen gezählt. Dies wirkt heute wie ein Relikt barocker Wahrnehmung des menschlichen Wesens in seiner existentiellen Hinfälligkeit und Äußerlichkeit. Man verstand das diesseitige, das irdische Leben ja eher als Durchgangsstadium zu einem ewigen, jenseitigen Sein. Daraus leitet sich das Selbstverständnis als Erdenbürger, als Gast auf Zeit, als Glied eines Ganzen, der Gemeinde also, ab. Aus dieser Transzendenz erklärt sich auch die frühere Rolle der Kirche und die Doppelbedeuung der Bezeichnung Gemeinde und ihrer Seelenzahl in diesem Zusammenhang.
Beschreibt man eine Situation, wo »keine Menschenseele« ist, heißt dies, dass man ganz allein, ganz auf sich gestellt ist. Mutterseele hatte früher zunächst nur die Bedeutung Mensch. Dieser Begriff ist verschwunden. Übriggeblieben ist mutterseelenallein. Es bedeutet also eigentlich »in seiner menschlichen Existenz allein« oder auch »menschenallein«.
| | | | Verfasser | Titel | Auszug | Josef Freiherr von Eichendorff | Aus dem Leben eines Taugenichts (1), 1826 | Da stand ich nun unter Gottes freiem Himmel wieder auf dem stillen Platze mutterseelenallein, wie ich gestern angekommen war. | Ludwig Aurbacher | Abenteuer der sieben Schwaben und des Spiegelschwaben, 1827–1829 | An der Spitze aber marschierten wir, die Schwaben, sieben Mann hoch. Und wir stießen auf den Feind unweit Überlingen am Bodensee. Aber, sieh da! wie wir nun anrückten, wir Schwaben, in voller Hitze, immer vorwärts; da liefen indeß die übrigen alle davon, die Franken voran, drauf die andern, und die Österreicher deckten den Rückzug; und wir, die Sieben, sind mutterseelenallein zurückgeblieben und haben das Abenteuer bestanden, zum ewigen Ruhm der Schwaben. | Annette von Droste-Hülshoff | Briefe von Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking, 1843 | Und jeden Nachmittag geh ich meine alten Wege am Seeufer, zwar mutterseelenallein, aber doch vergnügt, weil mich nichts stört, nicht mal ein neuer Rebpfahl. | Willibald Alexis | Die Hosen des Herrn von Bredow (Sechstes Kapitel, Der späte Gast), 1846 | »Gottes Wunder, Herr von Lindenberg, wie kommen wir zu der Ehre?«
»Alle Heiligen mit Euch, liebe Base, das weiß ich selbst nicht.«
»Und ganz allein?«
»Mutterseelenallein. Wenn der Teufel die andern nicht holt, so tut’s der Sturm und das Wetter.« |
| Gutenberg-DE |
Gunhild Simon
31.07.2008
alle deutsche Sprache Gunhild Simon Startseite(__index)
|
|