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Nachruf auf eine serbische Prinzessin Nachruf auf eine serbische Prinzessin Nachruf auf eine serbische Prinzessin

Sie hatte einen Migrationshintergrund. Nur durch Bestechung und Schiebung erlangte sie die Ausreisegenehmigung aus dem unsicheren Belgrad des Jahres 2002.

Belgrad – das war fast die Endstation, eine Hinterhofmülltonne. Da heraus wurde sie als verdrecktes, unterernährtes Bündel gefischt, um sich in ihrer neuen Heimat zu einem wunderschönen Schmetterling zu entfalten.

Sie hatte ein seidiges, weißes Fell und – sie war ja fast ein Albino – zwei verschiedenfarbige Augen: ein katzengrünes und ein lotusblaues. So tiefblau, so pigmentlos, dass die Iris im Licht rot glühte. Der Schmetterling war eine Katze. Eine selbstbewusste, freidenkerische, mutige. Bei aller ihr eigenen Zartgliedrigheit war sie durchsetzungsfähiger als der gravitätischste Kater. In aufrechter Haltung, mit gesträubten Haaren, ließ sie keinen Zweifel daran, dass sie die Kronprinzessin, die Herrin ihrer kleinen Welten wäre.

Mit dem Schmetterling hatte sie nur die Metamorphose zur Makellosigkeit geteilt. Fliegen ist das Vorrecht anderer Kreaturen. Die katzengewandte, traumwandlerisch Sichere ist Opfer ihrer Eskapaden auf Balkonsimsen und Ballustraden geworden. Was sie straucheln ließ, lässt sich kaum erwägen.

Wie oft habe ich angehaltenen Atems ihre Ausflüge verfolgt – oder besser: nicht hingesehen – still, um keinen Fehltritt auszulösen, erleichtert, wenn sie zurück war! Milky – sie war mir anvertraut, wenn die Tochter auf Reisen war.

Auch andere haben Ausflüge zum nachbarlichen Balkon gemacht. Der taube, alte Kater, in dessen unerschütterliche innere Abgeschiedenheit kein Ton drang, ging auf Inspektionstour hinüber. Mein Sohn hat den Weg beschritten, von drüben nach hüben, den Weg, der sogar mir schon die Rettung war, schlüssellos vor der versperrten Wohnungstür. Die Balkontür steht sommers weit offen. Zum Segen der einen, zum Verderben der anderen.

Die kleine Milky war nicht tot. Der Notfalltierarzt befreite sie von Schmerz und Stress. Noch war er zuversichtlich. Aber das Röntgenbild gab eine traurige Gewissheit: Der Sturz war das Todesurteil. Das Rückgrat war gebrochen. Es gab keine Rettung.

Emilys Bruder begleitete die Katze.

Bei sinkender Sonne hat er ihr ein Katzengrab geschaufelt zwischen verblichenen Hortensien im herbem Duft der Buchsbaumhecke. Und wenn es wieder Sommer wird, wehen die Blütenblätter der Kletterrosen aus den Zweigen der Hainbuche darüberhin.

Im August steht die Zeit still.

blog.institut1: Stadtkaninchen und Wohnungskatzen

Gunhild Simon
Aug 21 2010

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