Thumulla.com

Patrick Süskind: Das Parfum

Der Roman [1] besteht aus mehreren Teilen.

Der erste und dritte beschreiben die atemberaubenden Fährtensuchen und blutigen Raubzüge des abstoßenden und gleichzeitig faszinierenden Monsters Grenouille - das heißt Frosch.

Grenouille wird 1738 unter dem stinkenden Schlachttisch einer Pariser Fischfrau geboren und fast mit den Fischresten in die Seine entleert. Er verdankt sein Leben seinem durchdringenden Geschrei. Er ist aber so unleidlich und befremdlich, dass keiner seiner Gönner ihn erträgt. Jeder, dem er je als Kind oder Lehrling anvertraut war, bezahlte diesen Kontakt bald mit seinem Leben.

Grenouille zeichnen zwei Besonderheiten aus: völlige Geruchlosigkeit und phänomenaler Geruchssinn. [2] Diese Gabe macht ihn zu einem begnadeten Parfümeur. Sie ist auch sein Verhängnis. Sie macht ihn zum triebhaften Mörder, der sich über den Tod seiner Opfer ihrer Gerüche bemächtigen will.

Grenouille verfolgt seine Opfer, indem er nur seiner untrüglichen Witterung folgt, ohne Eile, stetig, schwerblütig, fast träge. Denn er ist sich seiner instinkthaften Gabe gewiss. Es gibt kein Entrinnen für sein Opfer. Die Atmosphäre ist, immer wenn er seiner tödlichen Leidenschaft folgt, voller Farbe, Gerüche und Säfte, gleichsam aufgeladen, unheilsschwanger.

Der zweite Teil ist überschrieben mit “Der Zeck”.

Eine Zecke, ein Holzbock, ist ein blutsaugendes kaum stecknadelkopfgroßes Spinnentier, heutzutage gefürchtet wegen der Übertragung eines Bakteriums, das Boreliose und Meningitis auslösen kann. Der Holzbock kann über lange Zeit in absoluter Bewegungslosigkeit in seinem hölzernen Schlupfwinkel verharren und seinen Stoffwechsel nahrungslos drosseln, bis er sich erweckt durch die Wärmeausstrahlung auf seine Beute niederfallen lässt. Mit einem widerhakigen Saugrüssel krallt und saugt er sich an unzugänglichen Stellen fest, um sich in aller Ruhe zu einem monströsen, blutprallen Gebilde erbsengroß aufzublähen, vor Blutlast kaum noch bewegungsfähig, ein Wesen, das nur noch als Eiablageapparat dienen wird.

In tierhaftem Gleichmut, emotionaler Erkaltung und bedürfnisloser Hungerstarre fristet Grenouille sein Leben in einer Höhle tief im unwirtlichen Massif Central. Wie ein Eremit verharrt er, bis er eines Tages, gleichsam neue Lebenssäfte in der Nase, wieder von Blutrünstigkeit erfasst wird und hinabsteigt zu den warmen und von Blumen und Mädchen blühenden und duftenden Gefilden der Côte.

Dieser dritte Teil spielt in Grasse, einem Ort hoch in den Alpes Maritimes. Grasse ist die Stadt der Parfümeure schlechthin, pitoresk verwinkelte Gassen, Pfade und Gemäuer, dazu der Blick hinunter auf die liebliche Côte d’Azur. Hier ist seine phänomenale olfaktorische Gabe gefragt. Er ist am Ziel. Aber unabweisbar erwachen die daran gebundenen Triebe aufs Neue. Hier vollendet sich, was sich bereits in seinem ersten Leben abgezeichnet hatte. Er tötet statt zu lieben. Darin erlebt er den Gipfel von Besitz und Verschmelzung. Er wird überführt und verurteilt. Jedoch muss ein anderer statt seiner sterben, weil er die seiner Hinrichtung harrende Menge durch einen wunderbaren Geruch verzaubert und für sich einnimmt.

Zurückgekehrt an den Ort seiner Geburt, schließt er sich dort, im heruntergekommenen Bauch von Paris einer Gruppe Ausgestoßener an. Hier schließt sich der Kreis. Er wird - Opfer seines köstlichen Geruchs - von denen, die, gewissenlos wie er selbst, nichts mehr zu verlieren haben, geschlachtet, zerfetzt und einverleibt.

Viel später habe ich von Patrick Süskind “Die Taube” (1987) gelesen, in der Hoffnung, dieser Mischung aus Abgestoßensein und Angezogensein wiederzubegegnen. Aber dieser Roman ist ganz anders, zurückgenommen und leidenschaftslos - die minutiöse Beschreibung einer Psychose. Ein Kammerspiel in der bedrängenden Enge eines Dachzimmers, das nur von zwei Akteuren bestimmt wird, einem Mann und einer Taube. Da graust es einen unvermittelt, wenn man die Welt mit den Augen eines Phobikers betrachtet. Aber das steht in einem anderen Kapitel.

[1] Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders. Zürich: Diogenes 1985,

verfilmt 2006, Regie Tom Tykwer

[2] Hier einige Textbeispiele:

“Bald roch er nicht mehr bloß Holz, sondern Holzsorten, Ahornholz, Eichenholz, Kiefernholz, Ulmenholz, Birnbaumholz, altes, junges, morsches, modriges, moosiges Holz, ja sogar einzelne Holzscheite, Holzsplitter und Holzbrösel -”

“[…] hätte die gängige Sprache schon bald nicht mehr ausgereicht, all jene Dinge zu bezeichnen, die er als olfaktorische Begriffe in sich versammelt hatte.”

“Mit Wörtern, die keinen riechenden Gegenstand bezeichneten, mit abstrakten Begriffen also, vor allem ethischer und moralischer Natur, hatte er die größten Schwierigkeiten. Er konnte sie nicht behalten, verwechselte sie, verwendete sie noch als Erwachsener ungern und oft falsch: Recht, Gewissen, Gott, Freude, Verantwortung, Demut, Dankbarkeit usw. - was damit ausgedrückt sein sollte, war und blieb ihm schleierhaft.”

Gunhild Simon
21.06.2009

alle    deutsche Sprache    Gunhild Simon    Startseite(__index)



Thumulla.com    Startseite der Artikel    Links und Werbung    Diskussion    Suche auf dieser Seite