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Pilze - geheimnisvolle Kreaturen im Untergrund

Ein nächtlicher Regen gefolgt von einem warmen Sommertag - dann schießen sie über Nacht aus dem Boden: Pilze. Mittehochdeutsch büliz, bülz, aus dem lateinischen boletus, essbarer Pilz. Ein Lebewesen, das weder Pflanze noch Tier ist und ein geheimnisvolles, überwiegend verborgenes Dasein führt.

Ein geflügeltes Wort! Denn gerade das rasante Wachstum zeichnet den Pilz aus. Kennzeichen dafür, dass Pilze ein eigenes Reich in der Natur sind - zwischen Flora und Fauna, Pflanzen und Tieren.

Als “Sporenpflanzen” scheinen sie den Pflanzen nahezustehen mit ihren Wurzeln und festen Standorten. Jedoch kann man sich auf diese äußerlichen Merkmale nicht verlassen. Denn es gibt im Reich der Pflanzen untypisch bewegliche Exemplare wie die gleichsam abgestorbenen, durch die Wüste rollenden Büsche. Oder im Tierreich die fortbewegungslos verharrenden Seeanemonen, die wie eine Pflanze erscheinen. Zwischen den Reichen gibt es fließende Grenzen. Die Wurzeln der Pilze sind keine Haftorgane im Boden, sondern sie sind das Lebewesen selbst.

Zusammen mit anderen Kleinstlebewesen sind Pilze Destruenten, Zersetzer, aus lateinisch destruere, zerstören. Sie heißen Saprophythen, von griechisch sapros, faul, und phyton, Pflanze. Das drückt aus, dass es sich um Organismen handelt, die sich von faulenden Stoffen ernähren - das Prinzip ihrer zur grünen Pflanzenwelt gegensätzlichen Existenz. Sie ernähren sich von organischem Material, das in diesem Prozess zu anorganischem zersetzt, umgeformt, und dem Kreislauf der Stoffe wieder zugeführt wird. Aus toter Substanz, Abfall, wird Humus gebildet. Denn nur Pilze sind in der Lage, die Zellulose der pflanzlichen Zellwände aufzuspalten. Diese Humifizierung macht Pflanzen die Nährstoffe zugänglich. So erklärt sich das andere grundlegende Unterscheidungsmerkmal: Während pflanzliche Zellwände aus Zellulose bestehen, ist das der Pilze überwiegend aus Chitin, einem Stoff, der der Tierwelt, nicht der der Pflanzen eignet, Chitin, aus griechisch chiton, Gewand, ist stickstoffhaltiges Material, aus dem der Panzer der Gliederfüßler besteht.

Pilze als chlorophyllfreie Lebewesen sind nicht in der Lage, sich unmittelbar von anorganischen Verbindungen zu ernähren. Die Energie, die zur Nährstoffsynthese benötigt wird, können sie nicht selbst erzeugen, sondern sie sind auf energiereiche Substanzen aus ihrer Umgebung angewiesen.

Grüne Pflanzen dagegen ernähren sich von anorganischen Stoffen. Der grüne Farbstoff Chlorophyll - aus griechisch chloros, hellgrün, und phyllon, Blatt - befähigt sie, die durch die Strahlung aufgenommene Lichtenergie zum Aufbau eigener Substanzen zu verwenden. In den chlorophyllführenden Zellen, also überwiegend in den Blättern, wird aus dem Wasser, das durch die Wurzeln aufgenommen wurde, und dem Kohlendioxyd aus der Luft Traubenzucker zusammengesetzt. Dieser Prozess heißt Photosynthese: aus griechisch photos, Licht, und synthesis, Zusammensetzung. Bei der Assimilation des Kohlendioxids wird Sauerstoff frei, der durch die Blätter ausgeschieden wird. Das macht Pflanzen für das gesamte Leben auf der Erde unentbehrlich.

Die wenigen Pflanzen, die chlorophyllfrei, also nicht grün sind, sind Schmarotzerpflanzen. Primär beuten die wenigsten ihren Wirt einseitig parasitär aus, sondern leben mit ihm in einer Lebensgemeinschaft, in einem gegenseitigen Austausch. Das nennt man Symbiose, aus griechisch syn, sym zusammen, und bios, Leben. Diese Kompatibilität findet gerade in ökologischen Nischen durch das wechselseitige Aufschließen von Nährstoffen und die Vergabe von Schutzmechanismen statt. Während die grüne Pflanze aus der Photosynthese gewonnene Kohlehydrate spendet, bietet ihr der Symbiosepartner im Gegenzug Nährstoffe in Form von Mineralien.

Eine solche sichtbare Lebensgemeinschaft mit Pflanzen gehen insbesondere Pilze ein. Deshalb findet man Pilze an spezifischen Standorten mit typischem Pflanzenbestand und, damit verbunden, bestimmter Bodenbeschaffenheit.

In einer symbiotischen Gemeinschaft mit der Wirtspflanze bildet der Pilz ein wurzelartiges, feingliedriges Geflecht aus Pilzfäden. Dieses Geflecht, die Mykorrhiza, umschlingt kaum erkennbar die Wurzeln der Pflanze. Das bewirkt die enge Lebensgemeinschaft mit bestimmten Bäumen. Daraus erklären sich schließlich Namen wie Birkenpilz, Fichtenreizker oder Eichensteinpilz. So erklärt sich, dass man unter Birken im Herbst Fliegenpilzhüte leuchten sieht. Pilze sind gleichsam die sichtbaren “Blüten”, besser Fruchtkörper, der nahezu unsichtbaren, unterirdischen “Pilzpflanze”. Dieses Fadengeflecht ist der vegetative Teil - der pflanzenhafte, biologisch ungeschlechtliche, aus lateinisch vegetari, wachsen. Dieses heißt das Mycél oder Myzelium, aus griechisch mykes, Pilz. Ihm gegenüber steht der Fruchtkörper in Gestalt des Pilzes. Das ist der generative Teil - der keimbildende, geschlechtliche, aus lateinisch generare, erzeugen. Was wir ernten, sind die Früchte, die ans Licht getreten sind, um ihre Sporen, die Keime zur geschlechtlichen Vermehrung, auszustreuen.

Myzelien bilden sich zentrifugal aus. An ihren Enden sprießen meist gleichzeitig die Fruchtkörper. So bilden sich die sichtbaren “Hexenringe”, die die menschliche Phantasie beschäftigten als nächtliche Tanzspuren vermeintlich übersinnlicher Wesen. Wenn die Pilze vergangen sind, bleibt auf Weiden ein saftiger Grasring bestehen. Die Stoffwechselprodukte des Myzels wirken sich nämlich als Düngemittel aus. Dagegen haben sie in trockenen Jahren den gegenteiligen Effekt. Das Myzel hat eine dem Gras überlegene Wassersaugkraft, so entstehen verdorrte ringförmige Grasnarben.

Die Sporen sind in den Lamellen oder Röhren des Pilzes beherbergt. Sie fallen nieder oder werden durch Wind oder Lebewesen verbreitet. Auch zur zweifelsfreien Bestimmung können die Sporen hilfreich sein, indem man einen Hut eine Weile auf ein Löschblatt legt, um ein Sporenfallpräparat zu erhalten.

Wir betrachten den klassischen Ständerpilz - ein Stiel und ein Hut darüber. Daneben gibt es Schlauchpilze, Leistenpilze, Porlinge. Die Vielzahl der überwiegend unsichtbaren Pilze vom einzelligen Hefepilz über den vielgestaltigen Schimmelpilz bis zum kürbisgroßen Riesenbovist übersteigt das Vorstellungsvermögen. Man vermutet ihre Zahl bei mehr als einer Million.

Das größte und älteste Geschöpf der Erde ist das Myzel eines etwa 2400 Jahre alten Hallimaschs im Bundesstaat Oregon, USA. Das ist ein Pilz, der auch lebendes Holz befällt und sich unterirdisch von Baum zu Baum verbreitet. Dieses Myzel besiedelt eine Fläche von neun Quadratkilometern, der Größe des Tegernsees. Es wiegt schätzungsweise 600 Tonnen, soviel wie vier Blauwale. Aber es bringt nicht nur Verderben für die befallenen Bäume, sondern zersetzt auch fauliges Totholz. Forstwirtschaftlich ist das Phänomen nur zu besiegen durch die Anpflanzung hallimasch-inkompatibler Bäume.

Weiterführende Hinweise und Informationen:

Wikipedia - Pilze

Gunhild Simon
5.08.2008

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