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Potentialis als eine Aussage des Konjunktiv II - ein Irrtum der Grammatiker?

Der Konjunktiv II wird im Deutschen als Aussageweise der Vorstellung, als Möglichkeitsform bezeichet.

Das kommt daher, dass der Indikativ als Pendant zum Konjunktiv aufgefasst wird. Das dazugehörige lateinische Verb lautet indicare, anzeigen. Dieser Aufgabe des Anzeigens hat demnach der Indikativ zu genügen. Auf Deutsch heißt das schließlich Wirklichkeitsform. Daraus erklärt sich die Gegenüberstellung beider Modi Indikativ und Konjunktiv und ihre Bezeichnung als Wirklichkeits- und Möglichkeitsform an.

Das lateinische Verb coniungere, von dem sich Konjunktiv ableitet, heißt verbinden.

Hat der Indikativ also die Funktion des Anzeigens, so wohnt dem Begriff des Konjunktivs etwas Abhängiges, Gebundenes inne. Der Konjunktiv ist nicht denkbar ohne den Zusammenhang, in dem er eingebettet ist.

Beispiele:
Indikativ: Ich gehe jetzt.
Konjunktiv I: Er sagte, er gehe jetzt.
Konjunktiv II: Es schien so, als ginge er.
Konditional: Wenn er ginge, schlösse ich mich an.

Der Konjunktiv I und der Konjunktiv II stehen dem Indikativ als Modi gegenüber. Allerdings ist auch der Imperativ ein Modus. Und damit rücken die beiden erstgenannten bereits aus ihrer Zwillingsrolle. Sie haben eigentlich keine anderen Gemeinsamkeiten mit den Indikativ als die Personalendungen. Ihre finiten Verbformen gleichen sich, während der Imperativ eigene, unvollständige finite Formen hat.

Es gibt zwei Formen des Konjunktivs. Diese unterscheiden sich terminologisch durch den Zusatz I und II. Dies bezeichnet jedoch keine zeitlichen Parallelen, wie man sie etwa bei zusammengesetzten Zeiten im Indikativ, also Futur I und Futur II oder zwischen Perfekt und Plusquamperfekt herstellen könnte. Was sie eint, ist nur das Nicht-Indikativische.

Während der Konjunktiv I die Aufgabe hat, wiederzugeben, was gesagt, gedacht, vorgestellt wird, also immer in der inneren Abhängigkeit eines Konstrukts auftritt, drückt der Konjunktiv II etwas über Sinnestäuschung und Fehleinschätzung und als Konditional etwas unter bedingten Voraussetzungen Eintretendes aus. Das kommt zum Ausdruck in Formulierungen wie als wenn, als ob, wenn, falls . Die Bedingung, die “Kondition”, liegt logisch vor dem durch sie bedingtenTun.

Je nachdem, ob man in Formulierungen des Sagens und Denkens den Konjunktiv I oder II wählt, bringt man auch seine eigene Einschätzung zum Ausdruck:

Ich dachte, du seiest zu Hause. (Wiedergabe der Ansicht)
Ich dachte, du wärest zu Hause. (Feststellung der Täuschung)

Vielfach wird die Funktion des Konjunktivs II mit Irrealis und Potentialis angegeben. Der Irrealis ist in der Grammatik der Modus des Unerfüllbaren, einer als unwirklich hingestellten Annahme. Potentialis bedeutet der Modus der Möglichkeit. Für den letztgenannten Fall lassen sich jedoch im Deutschen kaum überzeugende Beispiele konstruieren. Diese Unterscheidung ist eher eine der lateinischen und griechischen Grammatik entlehnte, die sich nicht auf den Begriff des Konjunktivs im Deutschen übertragen lässt.

Im Bereich des Erwägens und der höflichen Aufforderung ließen sich Beispiele anführen:
Du könntest mir helfen.
An deiner Stelle würde ich mich freuen. Du solltest dich freuen.
Du müsstest arbeiten.
X. möchte bitte [...] tun.

Man erkennt, dass hier die Möglichkeit durch Modalverben wiedergegeben wird. Modalverben haben nämlich die Aufgabe, den Modus des Handelns näher zu beschreiben. Deshalb greift man, um Wunsch oder Mög­lich­keit aus­zu­drücken, zu Wen­dun­gen mit Modal­ver­ben.[1]

Beide grammatische Termini, die im Deutschen dem Konjunktiv anhaften, sind neu zu überdenken. Die Übersetzung “Möglichkeitsform” ist inhaltlich unhaltbar. Und die Funktion des Konjunktiv II, die Potentialis genannt wird, ist in Wirklichkeit eine Aussage, die mit Modalverben ausgedrückt wird.

[1]http://www.belleslettres.eu/artikel/optativ-potentialis-konjunktiv.php

Gunhild Simon
Jul 18 2012

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