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Psycho-Jargon oder gelungene Kommunikation?

Bei fachspezifischen Konferenzen und Gesprächen – besonders in jenen mit einem geisteswissenschaftlichen Selbstverständnis wie Lehrerkonferenzen, Mitarbeiterbesprechungen psychologisch und sozialpädagogisch orientierter Richtungen – machen sich Fachsprachen bemerkbar, die sich durch immer wieder neue griffige und wohlklingende Formulierungen auszeichnen.

Bei genauerer Prüfung ist dies ein Jargon.

Jargon ist eine Art Fachsprache, also ein Slang, der einer bestimmten Szene eigen ist. Der hier ins Auge gefasste Jargon, also der Fachjargon, dient der Identitätsbildung wie der Identitätsfindung. Er ist eine Sprachvereinbarung, die Zugehörigkeit durch Sprache kenntlich macht.

Eine lange Liste auffällig phrasenhafter Idiome [1] zeugt von der Leistungsfähigkeit dieser Sprache. Man ist zunächst beeindruckt von der Treffsicherheit der Vergleiche, dem lockeren Klang der Worte, der Farbe der Bilder. Man spürt sogleich, wohin die Reise geht, wenn von Erdung, dem Finden seiner Mitte, von Halt und Loslassen, von Stimmigkeit und Bündigkeit, von Authentizität und Identität, von Luft, Wurzeln, langer Leine, Feed-back, Selbstwahrnehmung, Einbindung, Wieder- und Selbstfindung, von Schlüsselqualifikation und Vernetzung die Rede ist.

Oder ist man vielleicht nur verschüchtert von soviel hochtönender Eloquenz? Handelt es sich gar um Wörter, die auf die Liste der zu meidenden gehören, um hohle Phrasen, um eitle Blähwörter, die vernebeln und verschleiern, den Nicht-Zugehörigen ausgrenzen und sich unbedarft fühlen lassen?

Wenn man die sozialpädagogisch-therapeutische Fachsprache unter die Lupe nimmt, stellt man fest, dass auch die deutschen Begriffe auf plastische Bilder zurückgreifen. Diese Metaphorik bildet existentielles Tun und Erfahren ab wie sehen, hören, fühlen, stehen, gehen, tragen und getragen werden, halten und gehalten werden, wachsen und sich entwickeln. Daraus erklären sich Vorstellungen wie “sich erden, geerdet sein” für “seiner selbst sicher sein”, “sich anlehnen” für “soziale Unterstützung finden”, “seine Wurzeln suchen” für “sich auf seine inneren Stärken besinnen”.

Bedenkt man etwa, was Pubertät ausmacht, nämlich sich aus seiner Kinderrolle zu entfernen, um ein eigenständiges Leben zu üben, so finden sich hier auch in der Literatur passende Bilder.

Ein Buch hat den Titel “Pubertät – Loslassen und Halt geben”. [2] Die beiden Handlungsgebote, die Eltern hier in einem gewissen Gleichgewicht und Augenmaß abverlangt werden, umreißen die beiden Teilbilder, die sich zu einer Gesamtaufgabe miteinander verschlingen sollen. Loslassen ist der Gegenentwurf zu klammern und anbinden, Halt geben drückt das Angebot an den Heranwachsenden aus, sich stützen zu lassen, sich anzulehnen.

Gefühlszustände und emotionale Beziehungen werden in Bilder übertragen: Man hält eine flammende Rede, glüht vor Eifersucht, spuckt Gift und Galle, Blitze schießen aus den Augen, während Honigseim von den Lippen tropft. Süße Berührungen, bittere Pflichten, saure Arbeit, ätzendes Verhalten, warme Gefühle und kalte Begegnungen, heiße Liebe und eisiges Schweigen – direkt nachvollziebbare sensorische Empfindungen sind die primären Illustrationen für emotiale Befindlichkeiten.

[1] Henryk M. Broder – Formeln und Sprüche

[2] Pubertät – Loslassen und Halt geben (pdf)

Gunhild Simon
Apr 12 2010

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