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Realität und Wirklichkeit – ist das Fremdwort ein adäquates Synonym?

Kaum ist die Wendung »nicht wirklich«, die wörtliche Übersetzung von »not really«, »eigentlich nicht« auf dem Höhepunkt ihrer Verbreitung, stellt sich die Frage nach der Herkunft des Wortes »wirklich«.

Es hat etymologisch nichts gemein mit seinen romanischen Pendants: französisch réel, spanisch real, italienisch reale, englisch real. Zwar gibt es auch im Deutschen das Fremdwort real für dinglich, tatsächlich, auch reell für erwartungsentsprechend, zuverlässig – wirklich dagegen hat eine andere Dimension. Es geht von dem Verb wirken aus, das bereits im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen verwendet wurde und sich seinerseits von Werk und werken ableitet. Darin spiegelt sich die Bedeutung »tätig, wirksam, wirkend« wider.

Wirklichkeit vermittelt ein Bild von Gewirktem, ineinander Verflochtenem. Wirklichkeit ist das als Gegebenheit oder Erscheinung Fassbare. Dieser Begriff ist vielschichtiger als der der Realität, der nur Dingliches und Tatsächliches umfasst, jedoch nicht die Komplexität von Fassbarkeit, Erfahrbarkeit und Wirksamkeit hat.

Von wirken leiten sich neben Wirklichkeit und wirklich eine Reihe verwandte Wörter ab. Verben wie bewirken (verursachen), verwirken (einbüßen), einwirken (beeinflussen), erwirken (durchsetzen), verwirklichen (in die Tat umsetzen); Adjektive wie wirksam, wirkungsvoll und Substantive wie Wirkung, Gewirk, Wirksamkeit.

Reality-Shows suggerieren die Teilnahme am Leben anderer. Das Modewort realisieren – unter dem Einfluss von frz. réaliser, engl. to realize entstanden – bedeutet inzwischen weniger verwirklichen als sich bewusst machen, erkennen. Es ist vergleichbar mit nachvollziehen, umsetzen, transportieren, kommunizieren. Diese Verben haben – inflationär verwendet – den faden Geschmack von Beliebigkeit und Großspurigkeit. Deshalb ist kritische Distanz geboten, um sie nicht als Worthülsen zu missbrauchen.

Realität ist ein Fremdwort, das aus dem Französischen übernommen wurde. Dieses lautet réalité und hat nur den lateinischen Hintergrund res, die Sache, wohlbekannt als res publica, der Staat, genauer: die öffentliche Angelegenheit, worauf sich das klassische Demokratieverständnis bezieht.

Auch das beliebte Adverb realiter, tatsächlich, ist nur eine gelehrte Nachempfindung eines lateinischen Wortes, denn das zugehörige Adjektiv realis ist auch eine spätlateinische Wortbildung.

Gunhild Simon
21. September 2007

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