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Rhetorische Figuren – ein Begriff, der nur vordergründig Rätsel aufgibt

Rhetorik ist die Theorie vom sinnvollen Aufbau einer Rede: Vorstellung des Themas, Hinführung und Einleitung, Thesen und Antithesen, Zusammenfassung und Schlussfolgerung. Wo findet man in diesem strengen Gerüst Raum für Figuren?

Rhetorik ist aber auch Stilmittel. Sie hat die praktische Aufgabe, zu gutem Stil anzuleiten, dadurch zu überzeugen, ja, sogar zu überreden. Das lateinische Verb persuadere, überzeugen, überreden, spiegelt diese Doppelfunktion von Redekunst und Beredsamkeit. Rhetorik ist, so verstanden, die Kunst einer wirkungsvollen Gestaltung öffentlicher Rede.

Rhetorische Figuren sind das faszinierendste Mittel, der Rede Gestalt zu geben. Die Vorstellung von Figuren verknüpft sich mit Plastiken, Puppen und Nippes, mit Spiel-, Tanz- und Zeichenfiguren, Bildern und Bildhaftem.

Genau daran knüpft das Wort an. Denn ein Redner, der seine Zuhörer fesselt, macht Wörter zu Worten, macht Worte begreifbar, formt sie zum lebendigen Begriff im Wortsinn. Indem die Worte Gestalt annehmen, gestaltet er sie wie eine Plastik, erweckt sie zum Leben, beleuchtet, illustriert sie mit Bildern. Kulissen gleich beschränken sie sich auf weniges Skizzenhaftes, Plakatives, Eingängiges. Widersprüche werden als Scheinwidersprüche inszeniert. Der Redner weckt die Aufmerksamkeit des Zuhörers, er reißt ihn aus der Lethargie, lockt ihn aus der Ermüdung und wendet die Passivität des Lauschens in Teilnahme, Interesse. Aus diesem Grund heißen solche figürlichen Bilder, die der Redner zur Illustration und als Gewürz seiner Rede entwirft, rhetorische Figuren.

Redefiguren, rhetorische Figuren, sind also Stilmittel um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Sie bauen sich unterschiedlich auf. Deshalb lassen sie sich benennen, beschreiben, unterteilen.

Man unterscheidet zwischen zwei Ebenen der Rhetorik, die sich, der didaktischen Zielgruppe entsprechend, jeweils verschiedener Stilmittel bedienen.

Auf der Ebene größerer Texteinheiten wird ein schwer zugänglicher Gegenstand in lehrreicher Weise veranschaulicht. Hier ist das Stilmittel die Parabel, das Gleichnis, oder die Allegorie, eine Ansammlung von Bildern. Beispiele dafür sind Fabeln, biblische Gleichnisse, Brecht'sche Parabeln.

Eine andere Kategorie rhetorischer Stilmittel agiert auf der Wortebene. Beispiele dafür sind: die Ironie, die im Gegenteil das eigentlich Gemeinte bewusst durchsichtig verdeckt, die Metapher, eine bildhafte Übertragung, die Anapher, eine gleichartig gestaltete Satzeinleitung, die Hyperbel, eine offensichtliche Übertreibung, und ihr Gegenstück die Litotes, eine gleichfalls offenkundige Abschwächung. Daneben gibt es Figuren wie das Parádoxon, Oxýmoron, Antonym und den Pleonasmus, die in unterschiedlicher Art dazu dienen, innere Widersprüche und Diskrepanzen aufzudecken.

Auch auf der syntaktischen Ebene, der des Satzbaus, gibt es eigene Stilfiguren, beispielweise die Ellipse, eine Auslassung des finiten, konjugierten, Verbs, das Zeugma, das ein formgleiches Verb unterschiedlichen Zusammenhängen zuordnet. Auch Anakoluth und Aposiopese, absichtlich verwendete Isolierungen und Brüche, gehören zu den syntaktischen Stilmitteln.

Wir alle wenden auch im Alltag rhetorische Figuren an, um uns verständlich zu machen, um Dringlichkeit und Interesse zu vermitteln. Gerade im Umgang mit Kindern gestalten wir unsere Sprache bewusst farbiger und bildhafter. Aber auch um uns griffiger auszudrücken, um uns abzugrenzen, Takt und Höflichkeit zu zeigen oder Ärger zu verbergen, greifen wir nach rhetorischen Stilmitteln wie Ironie, Beschönigung, Unter- oder Übertreibung. Ob im vertrauten Kreis, im Beruf oder in der Öffentlichkeit, wir passen unseren sprachlichen Ausdruck der jeweiligen Situation an.

Die Redefiguren sollen im Einzelnen erläutert werden. Während der Redeaufbau sich überwiegend lateinischer Terminologie bedient, sind die Bezeichnungen für rhetorische Figuren alle dem Griechischen entlehnt:

Ironie, eironeia, Spott, bewusst durchsichtige Aussage des Gegenteils vom eigentlich Gemeinten: »Und Brutus ist ein ehrenwerter Mann« – »Sie sieht aus wie Miss Germany«

Methapher, metaphora, Übertragung: »diebische Elster« für einen unehrlichen, »schlauer Fuchs« oder »mit allen Wassern gewaschen« für einen erfahrenen oder durchtriebenen Menschen

Anapher, anaphora, Beziehung, Wiederholung des Beginns aufeinanderfolgender Sätze: »Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll« (Goethe: Der Fischer) – »Wohl hört man die Brandung – wohl kehrt sie zurück« (Schiller: Der Taucher)

Hyperbel, hyperbole, Übertreibung, Verstärkung: »himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt« – »es dauert eine Ewigkeit«

Litotes, litotes, Untertreibung, Schlichtheit: »nicht der Dümmste« für einen Klugen

Parádoxon, parádoxon, widersinnige Aussage mit wahrem Kern: »Die Tragödie des Alters ist nicht alt zu sein, sondern jung.« (Oskar Wilde)

Oxýmoron, von griech. oxys = »scharf, spitz, scharfsinnig« und moros = »einfältig, dumm«, Verbindung zweier Gegensätze, das Scharfdumme: »alter Knabe« – »Eile mit Weile!«, der Kindervers »Dunkel war's, der Mond schien helle ...«

Antonym, anti+onym, Gegenwort, Gegenüberstellung gegensätzlicher Wortpaare: »hell – dunkel« – »schwarz – weiß«

Pleonasmus, pleon, Übermaß, überflüssige Häufung oder bewusste Hinzufügung sinngleicher Wörter: »weißer Schimmel« – »alter Greis«

Ellipse, elleipein, Auslassung, auslassen: »Keine Zeit!«

Zeugma, zeugnynai, Verbindung zweier zusammenhangloser Sätze durch ein gemeinsames Verb: »Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen.« (Schiller: Wilhelm Tell) – »Nimm dir Zeit und nicht das Leben!«

Anakoluth, a...+akluthein, Folgewidrigkeit des Satzes

Aposiopese, aposiopesis, das Verstummen, bewusster Abbruch des Gedankens vor der entscheidenden Aussage als Ausdruck innerer Erregung

Gunhild Simon
18. Mai 2007

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