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Rosskastanien

Jetzt blühen sie, die vielen alten Kastanien, die die Isestraße entlang der Hochbahn säumen oder das letzte Stück des Eppendorfer Wegs beschatten. Schaut man vom Rasen des Kaifu-Bads in den Himmel, bietet sich ein Postkartenpanorama mit prächtigen, aufrechten Blütenkerzen, weiß mit zuerst gelben, dann rot sich verfärbenden Einsprengseln im Inneren ihrer Kelche.

Dazu haben sich sattgrüne, siebenfingrige Blatthände ausgebreitet. Kaum vorstellbar, dass sie noch Anfang April, minutiös zusammengefaltet und in aufgerichteten, chitinpanzerbraunen, harzig glänzenden Knospen versiegelt, im Verborgenen schlummerten.

Einige rotgefleckte Blüten treiben bereits im Wind, bedecken den Boden. Die der Baum nicht abgeworfen hat, werden sich bald zu grünen Igelfrüchten entwickeln. Dann grüßt schon der Sommer.

Aber ein aufmerksamer Beobachter sieht noch etwas anderes: Im Sonnenschein - bei Wärme - ein Geflatter wie von Kleidermotten. Das ist die Miniermotte, ein winziger, tagaktiver Nachtfalter, Cameraria ohridella, der spezifische, staubig-unscheinbare Schädling der weißen Rosskastanie.

Die Puppen haben im alten Laub überwintert und sind als goldgebänderte, fruchtfliegengroße Imagines bereit, in neuer Gestalt die jungen Blätter zu befallen, um ihre Eier darauf abzulegen. Kaum geschlüpft bohren sich die Larven in die Blätter, um sie, gleichsam unterminierend, durch vielerlei Miniergänge zu zerfräsen und zu zerstören. Das beschert den Kastanien schon im August unansehnlich zerknüllte, braune Blätter, die, kaum gefallen, von neuen Generationen pudrig-flatternder Schädlinge wimmeln.

Hilfe verspricht das konsequente Entfernen, Verbrennen oder Vergraben des alten, infizierten Laubs, das im Spätsommer und Herbst fällt, in dem die Miniermottennachkommen überwintern, um im folgenden Frühjahr den Kreislauf fortzusetzen.

Rosskastanien sind keine heimischen Laubbäume. Man findet sie nicht in Laubwäldern, sondern nur als Park-, Hof- und Alleebestände als dekorative Schattenspender. Sie stammen von der südlichen Balkanhalbinsel. Deshalb sind auch ihre Schädlinge kein Bestandteil verlässlicher Nahrungsketten, die heimische Kreaturen bilden. Wenn man ihre Schönheit über den Sommer hinaus bewahren will, wenn man gar um ihr Überleben fürchtet, bedürfen sie eines besonderen Schutzes, denn der fast aussichtslose Kampf gegen die Parasiten laugt sie aus. Bereits im Sommer geht ihnen durch die pausenlose Anzapfung der Leitungsbahnen Wasser und Chlorophyll aus, lebensnotwendig für Stoffwechsel und Fruchtbildung.

Fast paradox erscheint dann eine unerwartete zweite Kastanienblüte im Spätsommer. Dieses scheinbar frühlingshafte Phänomen ist ein Alarmzeichen für den Notstand der Bäume. Man nennt das “Angstblüte”. Bäume setzen der Gefahr des Absterbens eine unzeitige Blüte oder übermäßige Fruchtbildung entgegen, ein Energieaufwand, den ihre Ökonomie nicht verkraftet.

Bei der Neuanpflanzung sollte man statt der weißen Kastaniensorten rote wählen, sie sind resistent gegen Miniermotten.

Noch eine Anmerkung zur Herkunft des Namens Rosskastanie. Rosskasanien sind prall und nährstoffreich - aber im Gegensatz zur wohlschmeckenden Esskastanie, der Marone, die sich ebenfalls in einen stachligen, fast seeigelähnlichen Mantel hüllt, gallebitter. So bitter sind sie, dass selbst Pferde sie verschmähen. Offenbar hat jedoch dieser Bitterstoff adstringierende Wirkung, denn als Heilmittel wird Rosskastanienextrakt für Sportsalben verwendet. Die Rosskastanie hat auch Bedeutung in der Pferdeheilkunde.

halophila.de - Ein Neubürger erobert unsere Kastanien, Anmerkungen zur Rosskastanien-Miniermotte (Cameraria ohridella)

Gunhild Simon
28.04.2009

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