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Rücktritt und Respekt

In unseren Zeiten haben Rücktritte Konjunktur. Sollte man sie wohlfeil nennen? Soll man ihnen mit Respekt begegnen, der ihnen ein Beliebigkeitssiegel gibt, sie der Inflation anheimgibt?

Entweder wird die Forderung nach Rücktritt laut, oder man tritt den Rückzug selbst an. Es ist en vogue, drohenden Konflikten und Misserfolgen infolge unpopulärer und scheiternder Pläne mit Rücktritt zu begegnen. Rücktritt ist das Mittel, um schon bereitstehenden Rücktrittsforderern zuvorzukommen. Denn viel beschämender wird es zurückzutreten, wenn man sich erst in Frage gestellt und in die Enge getrieben sieht.

Auch Amtsmüdigkeit, Politikverdrossenheit, ist ein neuer Aspekt. Das ist gleichsam ein Abdanken des enttäuschten, ego-gekränkten Königs. Den Triumph des Sieges, der mit dem hohen Amt gekrönt wurde, hat er einst genossen, danach den Wählern gelobt – unter Eid auf weltliches und göttliches Recht und Gesetz – das Wohl der ihm Anvertrauten zu mehren, der Sache zu dienen und für sie einzustehen. Als Beamter lebenslang gar? Welch ein Wort, welch ein Werk!

Da fühlt man sich als Wähler in Hamburg, in Hessen oder als Bürger der Bundesrepublik im Stich gelassen, gar verstört. Innerlich begehrt, schreit und rechnet man auf: Wer sich für eine zweite Amtszeit zur Wahl stellte, erwachsen, erfahren und gesund ist, ja, im Laufe dieser Praxis Einblick in Irrungen und Wirrungen genommen hat, weiß zuvor, worauf er sich einlässt. Väter und Mütter können nicht zurücktreten, warum sollte dies nicht auch für Landesväter und Kirchenmütter gelten?

Wohlverstanden, ich sehe Unterschiede. Wenn die Autorität beschädigt ist, wenn man nicht mehr als Vorbild taugt, weil man die Spottreden hinter vorgehaltenen Händen ahnt, Händen, deren Finger im nächsten Moment vorwurfsvoll nach vorn schnellen, um einen als unglaubwürdig abzukanzeln. Dann ist die Flucht nach vorn das Mittel der Wahl: Noch mal von vorn anzufangen, kleine Brötchen backen, Demut üben.

Denn Starrsinnigkeit und Eitelkeit gibt es ja genug als Gegenort. Da sind Wahrhaftigkeit und Bescheidenheit wohltuend.

Den von ihren Ämtern Zurücktretenden hocken die an ihren Amtssesseln Klebenden gegenüber. Ihnen allen aber werden die offiziellen Kommentatoren zur Seite gestellt. Das sind die, die die Rücktritte in der Öffentlichkeit von seiten ihrer Organisation vertreten müssen. Es sind die Pressesprecher, die Verteiler offizieller Verlautbarungen.

Hier ist der Moment gekommen, Stellung zu nehmen.

Diese Chance wird aber vertan. Niemand spricht von Enttäuschung oder gar von Unzuverlässigkeit, Feigheit oder Versagen. Sie, die mit offiziellen Stellungnahmen Betrauten, die Verleser vorgefertigter Formeln aus dem Wortbausteinkasten, verbrämen, beschönigen, verschleiern. Dieser Schein hat, wenn es um Rücktritte geht, immer denselben Namen: Respekt.

Dem Wort liegt das lateinische respectus zugrunde. Es bedeutet Zurückblicken, Rückschau, Rücksicht. Weil man ja gerade im Blick auf das Vergangene und Angesehene Milde, Ehrfurcht und Schonung walten lässt, bedeutet Respekt Achtung, Hochachtung, Ehrerbietung – sogar Scheu. Im Lichte von Scheu und Rücksicht wird die Beschwörung von Respekt aber zu einer allgegenwärtigen Leerformel, die den Redner hochgesinnt, aber inhaltsfrei macht.

Es wäre besser getan, statt Respekt zunächst nur Respektierung zu bekunden. Das Verb respektieren hat nämlich einen minimal anderen Beiklang als Respekt. Lateinisch respectare bedeutet zurücksehen, berücksichtigen. Zwar heißt respektieren auch Respekt haben, aber es überwiegt darin die Bedeutung achten, berücksichtigen, anerkennen, schließlich: zur Kenntnis nehmen. Das sinalisiert eher eine Bewertung, der zugleich kritische Prüfung und unvoreingenommene Würdigung zugrundeliegen.

Gerade diejenigen, die als Sprecher, Fürsprecher von Amts wegen, dazu ausersehen sind, persönliche, unpopuläre oder prekäre Entscheidungen zu verkünden, sind gehalten, um ihrer eigenen Glaubwürdigkeit willen Worthülsen zu vermeiden und ihrem Publikum die Ehre des Ernstnehmens zu erweisen. Der Verzicht auf rhetorische Floskeln und Autoritätsargumente könnte ihnen seitens ihrer Klientel Respekt verschaffen.

Gunhild Simon
Jul 18 2010

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