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Schloßen – Hagel, Griesel und Graupel

In dem Kirchenlied “Wie lieblich ist der Maien” [1] heißt es in der 2. Strophe:

“Es steht in deinen Händen,
Dein Macht und Güt ist groß,
drum wollst du von uns wenden
Mehltau, Reif, Frost und Schloß’. *
*Hagel”

Mit der Anmerkung wird der Leser ins Bild gesetzt: Die Bitte richtet sich auf die Verschonung vor Hagel. Hagel im Mai um die Zeit der “Eisheiligen” herum. [2]

Während die Gemeinde “Schloss” artikuliert, frage ich mich, welchen Zusammenhang es da wohl geben mag.

Im Text macht sich am Wortende ein Apostroph bemerkbar. Er lässt darauf schließen, dass eine Wortverlängerung ausgefallen ist. Diese Annahme wird auch durch das vorausgehende Reimwort “groß” bestätigt. Die Schreibung des Gesangbuchs gibt jedoch letztlich keinen Hinweis. Sie ist in alter Rechtschreibung abgefasst.

Schloß’ ist also eigentlich Schloße. In Wörterbüchern finden sich dazu Hinweise: die Schloße, f., die Schloßen, pl. Schloße steht genaugenommen für ein Hagelkorn, wird also meist im Plural gebraucht.

Schloßen für Hagel war in Süd- und Mitteldeutschland gebräuchlich. In der Übersetzung eines Psalms wird es von Luther, der den mitteldeutschen Sprachraum verkörpert, verwendet. [3] In den meisten Gegenden spricht man es mit langem o. In Südtirol spricht man es mit einem offenen o aus, verdoppelt den s-Laut gar zu Hagelschlossen.

Hagel ist trotz seines winterlichen Erscheinungsbildes ein sommerliches Wetterereignis. Die “verhagelte Ernte” ist eine sprichwörtliche Katastrophe. Man denke nur an Thomas Buddenbrooks ruinöses Warentermingeschäft des “auf dem Halm” gekauften Weizens.

Hagel kann aufgrund seines Entstehungsvorgangs verheerende Züge annehmen. Er entsteht, wenn Wassertröpfchen durch starke Aufwinde in Gewitternähe in hohe Wolkenschichten aufsteigen, um dort zu Eiskristallen zu gefrieren. Im Fall nehmen sie erneut Wasser auf, das jeweils zu einer neuerlichen Eishülle gefriert. Die sinkenden Hagelkörner werden so lange aufgetrieben, bis ihr Gewicht die Auftriebskraft übersteigt und sie schließlich zu Klumpen verdichtet in heftigen Gewitterböen zur Erde stürzen.

Etymologisch hat das Wort eine weitläufige Verwandtschaft. Mittelhochdeutsch sloze und slöz, auch slöt und slöten, niederländisch sloot für Pfütze und Schlamm, deren Bedeutungen ihrerseits zum Vergliech mit Graupel, Griesel einladen. Im Norwegischen sind gar Schneeregen und breiiges Schweinefutter, Grütze, Graupen als slutr wortidentisch.

Im Hochdeutschen scheint es nur noch einen einzelnen sprachlichen Hinweis auf Schloßen zu geben. Das Wort steckt in dem Adjektiv schlohweiß, niederdeutsch slötewit. Damit ist die absolute Entfärbung des Haars ohne letzte farbige Haare gemeint, eine treffende Beschreibung, da auch das transparente Material von Hagelkörnern eine solche Farbanmutung erzeugt. Der Gedankengang verdichtet sich in witer dan slöt, weißer als Hagel, also nicht eisgrau, nicht schlohweiß, sondern schneeweiß.

[1] EK 501 (1604)

[2] Die Eisheiligen als alte Regel des Bauernkalenders beruhen auf Erfahrungen und Beobachtungen von Bauern. Sie sind klimatologisch auf Mitteleuropa beschränkt. Aber auch hier sind die Unterschiede so groß, dass sie regional variieren.

Es handelt sich um Namenstage von Heiligen, Bischöfen und Märtyrern, nach denen die Namenstage Mitte Mai benannt sind. Sie heißen Mamertus, Pankratius, Servatius, Bonifatius (11. – 15. Mai).
Pankraz, Servaz, Bonifaz
machen erst dem Sommer Platz.

Den Abschluss bildet die “Kalte Sophie” am 16. Mai.
Vor Nachtfrost du nie sicher bist,
bis Sophie vorüber ist.

[3] Psalm 78, 47; da er ihre Weinstöcke mit Hagel schlug und ihre Maulbeerbäume mit Schloßen;

Gunhild Simon
Sep 10 2010

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