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Schwur – Eid und Meineid

Ein Schwur wird geleistet. Ein Eid wird geschworen.

Das althochdeutsche Wort verbindet beide Begriffe zu eid-swuor, das mittelhochdeutsche lautet swuor. Dem voraus geht das starke Verb schwören mit seinen ungewohnten Ablautfolgen [1], mittelhochdeutsch swern, swer[i]gen, althochdeutsch swerian. Aus derselben Quelle speist sich das englische Verb to swear. Schwören ist ein Wort der Rechtssprache, Die Grundbedeutung ist sprechen, aussagen. Das erweist sich in dem englischen Verb to answer, worin das altenglische and-swaru enthalten ist. Dabei bedeutet and wie auch in Antwort und Antlitz erkennbar ist, soviel wie entgegen, gegenüber.

Es gibt weitere Verben, die sich ihrerseits aus schwören ableiten und denen die Bedeutung “sprechen” innewohnt. Sich verschwören, ursprünglich eine Verstärkung von schwören, hat sich unter dem Einfluss des lateinischen Verbs coniurare zu der Bedeutung sich absprechen, sich heimlich verbünden gewandelt. Man denke aber auch an den berühmten Ruetli-Schwur in Schillers “Wilhelm Tell” [2]. Hier zeigt sich, wie beschwören, inständig, feierlich bitten, den Kern der ursprünglichen Bedeutung, die ein ausdrückliches Sprechen ist, bewahrt hat.

Schwören heißt, mit seiner gesamten persönlichen Integrität für etwas einzustehen. Der Schwur appelliert an die Selbstachtung, an die heiligsten persönlichen Werte, an die tiefverwurzelte Würde des Individuums. Daher werden Schwüre rituell begleitet von Wertesymbolen wie Familie, Glauben oder Gott – “schwören bei allem, was einem heilig ist”. Der Schwur mobilisiert die größte sittliche Kraft, die eine Kultur der Lüge entgegensetzt.

Der Eid ist formal der geleistete Schwur, die förmliche Verpflichtung, der man sich durch einen Schwur unterwirft. Der Eid ist in Rechtssystemen die verbindliche Form, in die das innere Wesen des Schwurs gegossen wird.

Dem Eid entgegen steht der Meineid, die Negation des Schwurs und des Eids. Die Entehrung, die Versündigung durch einen Meineid, erklärt sich aus der besonderen inneren moralischen Verpflichtung, die der Schwur symbolisiert. Das Individuum grenzte sich durch einen solchen Regelverstoßselbst aus der menschlichen Gemeinschaft, dem existenziell tragenden Sozialgefüge aus.

Kinder zeigen spielerisch, dass Schwur eine Kategorie ist, der sie sich nicht verpflichten. Das manifestiert sich im Erheben der Rechten zum Schwur und dem gleichzeitigen geheimen Widerruf durch ein verborgenes Fingerkreuzen der Linken, einem quasi satanischen “Hexenkreuzchen”.

Diese Gebärde wird heutzutage besonders gern als Streich kleiner Mädchen verstanden. Möglicherweise haben Jungen hier bereits ein männliches Ehrgefühl internalisiert, das es ihnen verbietet, mit einem solch ernsten männlichen Wert seine Scherze zu machen.

Dass diese Geste nicht auf Kinder begrenzt ist, sondern einen weitreichenden historischen Hintergrund hat, überliefert die 23. Szene auf dem Teppich von Bayeux. Sie stellt das Unterwerfungsritual dar, wie es als zeitgenössische Darstellung eines historischen Meineids festgehalten ist. Dass hier ein heimlicher Eidbruch vorgesehen ist, erklärt sich aus dem feindlichen Verhältnis der beiden Männer. Nach der verlorenen Schlacht bei Hastings im Jahre 1066 sieht sich der König von England gezwungen, ihm die Gefolgschaft zu schwören. Deshalb beugt er sich dem Eroberer im Schwur, jedoch widerruft er mit der anderen Hand. [3]

[1] schwören, schwor, geschworen, Konjunktiv II, dass er schwüre/schwöre

[2] - Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
In keiner Not uns trennen und Gefahr.
- Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
Eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.
- Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.

[3] “Wilhelm macht Harald zu seinem Vasallen; mit den Händen auf zwei
Reliquienschreinen verspricht der Engländer dem normannischen Herzog die Treue. Dieser Moment ist auf dem 23. Bild des Teppichs von Bayeux wiedergegeben – es ist ein Bild voller Anspielungen und Zeichen, die mittelalterliche Betrachter zweifellos ohne weitere Erklärung verstanden haben. Wilhelm sitzt in der linken Bildhälfte auf seinem Thron; als Herrschaftszeichen hält er sein Schwert erhoben in der rechten Hand. Mit dem Zeigefinger der linken Hand deutet er auf Harald und befiehlt ihm damit, den Eid abzulegen. Seine linke Hand legt Harald daraufhin tatsächlich in korrekter Geste auf einen Reliquienschrein. Es ist diese Geste, die Wilhelm sehen kann. Mit seiner rechten, dem Herzog abgewandten Hand, berührt Harald einen weiteren Reliquienschrein. Doch hat er seine Finger dabei gekreuzt; er schwört einen Meineid.”
arte.tv: Die Bilderwelten des Teppichs von Bayeux

Gunhild Simon
Sep 30 2010

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