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Sich entscheiden oder sich entschließen?

In einer Ausgabe der ZEIT* stieß ich auf die folgende Formulierung, die mich stutzen ließ: “Obama ist entschlossen, dass Washington nicht Washington bleiben darf.”
* (DIE ZEIT, Nr. 5, 22. 1. 09, S. 3, 4. Spalte, Gefährliche Hauptstadt von Martin Klingst)

Formal scheint der Satz zunächst korrekt. Es handelt sich um ein Satzgefüge, das sich aus einem Hauptsatz und einem Nebensatz mit einem selbständigen Inhalt - einem Inhaltssatz - zusammensetzt.

Jedoch stimmt etwas in der inneren Logik des Satzes nicht. Was ist es?

Das Verb sich entschließen kann nicht auf Dinge bezogen werden, sondern nur auf Sachverhalte: Ich entschließe mich zu einer Lektüre, einer Reise, einem Studium, einem Kauf. Nicht: *Ich entschließe mich zu einem Buch, einer Stadt, einem Beruf, einer Ware. Hier hilft das ähnliche Verb sich entscheiden: Ich entscheide mich (zwischen mehreren Sachen) für ein Buch, eine Stadt, einen Beruf, eine Ware.
Sich entschließen verlangt also die Präposition zu, während sich entscheiden die Präposition für verlangt.

Auch durch die Auflösung mit einem Verb, das das Handeln der betreffenden Person anzeigt, kann ein solcher Sachverhalt ausgedrückt werden: Ich entschließe mich zu lesen, eine Reise oder ein Studium anzutreten, einen Kauf zu tätigen. Stilistisch ist der Infinitiv dem Nebensatz vorzuziehen, weil das Satzgefüge, sei es Haupt- und Nebensatz oder eine Infinitivkonstruktion, ein gemeinsames Subjekt hat.

Auch das entschließen inhaltlich ähnliche Verb entscheiden bezieht sich auf einen Gegenstand, der ausnahmslos in der Macht des handelnden Subjekts steht. Das Verb entscheiden besagt eine Entscheidung zwischen mehreren Möglichkeiten. Folglich entscheidet man sich für etwas, das entweder als Substantiv, Substantivierung oder als Infinitiv ausgedrückt wird.

Kommen wir nun auf die Richtigstellung des Zitats zurück.

Es bieten sich folgende Lösungen an:

Statt sich entschließen - oder besser entschlossen sein - wäre fordern oder verlangen einzusetzen. Dann lautete der Satz: Obama fordert/verlangt, dass Washington nicht Washington bleiben darf. Soll der Akzent auf dem Entschluss, der Entschlossenheit ausdrücken soll, liegen, so muss ein Verb gefunden werden, das zu einem gemeinsamen Subjekt gehört. Dieses Verb ist lassen in einer Funktion als modales Hilfsverb: Obama ist entschlossen/hat entschieden/hat beschlossen, Washington nicht Washington bleiben zu lassen.

Wie ist dieser bei genauerer Analyse feingliedrige Fehler zustandegekommen?

Möglicherweise lag dem Artikel eine Originalmeldung zugrunde, die lautete “Obama decided that…” Dies hat die automatische Übersetzung zunächst mit sich entschließen statt mit beschließen übersetzt. Also hätte eine sinnvolle Übersetzung lauten müssen: Obama hat beschlossen/gab den Beschluss kund, Washington dürfe nicht Washington bleiben. Oder: Obama verkündete den Beschluss, Washington nicht (länger) Washington bleiben zu lassen.

Gunhild Simon
30.01.2009

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