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Stilleben oder Stillleben?

So mancher hat sich angesichts von Bildern, die offensichtlich Totes darstellen, gefragt, was das alles mit Leben, gar mit stillem Leben zu tun habe. Vielleicht hat er gar gemutmaßt, dass es sich wegen des kunstvollen Arrangements dieses farbenprächtigen Überflusses von Blumen, Früchten und Jagdbeuten um ein Stil-Leben handeln möchte.

Hier gibt die neue Rechtschreibung trotz der schwerfälligen Buchstabenverdreifachung die richtige Bedeutung an.

Denn mit der gefälligen Anordnung ist nicht Stil gemeint, sondern Stille.

Zu ihrer höchsten Blüte haben die Alten Meister des holländischen Barocks (1600- 1750) die Stilllebenmalerei gebracht. “Still-leben” ist ein holländisches Lehnwort. Leven heißt Dasein und Modell, stilleven, stilles Dasein. Das wird deutlich, wenn es auf Französisch und Italienisch nature morte und natura morta heißt. Beides bedeutet tote, unbelebte Natur.

Es sind vornehmlich Anleihen aus der Natur – Blumen, Früchte, Nüsse, aber auch im Tod erstarrtes Wild, Geflügel und Fische, und dem Verzehr Anheimgegebenes wie Brot und Käse. Daneben finden sich symbolträchtige Gegenstände: Jagdwaffen, Messer, Totenschädel, Juwelen. Objekte, die an den vergehenden Augenblick gemahnen: Das Stundenglas rinnt aus, die Uhr ist aufgeklappt, die Kerze niedergebrannt, die Pfeife erloschen, der Pokal umgestürzt …

Die Blumen, kostbare Gewächse aus fernen Ländern, sind im kolonialstolzen Holland Ausdruck höchsten kommerziellen Wertes. Die Zusammenstellung der Blumenarrangements folgt nicht den natürlichen Gesetzen ihrer Blütezeit, sondern ihrem Symbolgehalt.

In der Üppigkeit voller Erblühtheit sind die Luxusgeschöpfe bereits verloren. Schon lösen sich Blütenblätter. An prallen, überreifen Früchten nagt die Fäulnis. Sterbensergeben lässt das erlegte Tier seinen Kopf hängen. Halb im Fluge verweilt der flüchtige Schmetterling. Eine Schnecke kriecht herbei. Ein lebensgroßer Käfer hält mit spinnengliedrigen Beinen die Blüte umfasst.

In einem Stillleben sind die Gegenstände aufs Feinsinnigste, nur scheinbar Zufällige, arrangiert. Die Komposition und Auswahl der Objekte ist eine Spiegelung des Reichtums und Stands des Auftraggebers. Sie ist auch eine Konservierung, eine Dokumentation eitler, diesseitiger Kleinode, Zeugen des zeitlichen Renommees des Besitzers.

Der Ästhetik wird nur auf der Ebene prunkender Genauigkeit Rechnung getragen. Sie wird nach Maßstäben unantastbarer, eindimensionaler Schönheit und Lieblichkeit bewusst gebrochen. Lebendigkeit ist Sterblichkeit. Hinter allem Leben lauert der Tod.

Ein besonders rühmlicher Anspruch des Künstlers war daher die Stilisierung zum Trompe-l’oeil, französisch “täusche das Auge”. Diese Kunstrichtung hat illusionistische Züge. Bis in kleinste Detail sind Reflexe, Licht-und- Schatten-Effekte, Verästelungen, Lebensadern, Ziselierungen plastisch nachgebildet. Eine optische Täuschung lässt den Betrachter der vorgegaukelten Realität erliegen.

Die ehedem lebendigen Dinge strömen bei näherer Betrachtung den “Haut-goût” des Anrüchig-Flüchtigen aus. Das bringen scheinbare Nebensächlichkeiten, Unregelmäßigkeiten zum Ausdruck, die zunächst naturalistisch anmuten, deren Symbolik jedoch auf Demut gegenüber der Vergänglichkeit gerichtet ist.

Man mag sich fragen, warum gerade Früchte und Blumen, stahlender Ausdruck entfalteten Lebens, diese bedenkliche Anmutung verkörpern.

Diese Objekte standen bewusst jenseits des Scheitelpunkts ihres Daseins – ihr Leben neigte sich schon: reif und erblüht, aber schon gebrochen, gepflückt, geerntet, im nächsten Moment sich entblätternd, welk, siech, faulend, ein Fraß für Würmer, Schnecken und Kerbtiere. Blumen sind von jeher ein Symbol der Jugend, eines verwehenden Durchgangsstadiums – “ein’ Blum und fallend Laub” [1]. Gerade dieser Denkweise war das barocke Lebensgefühl angesichts des Bewusstseins von Diesseitigkeit und Begrenztheit verpflichtet.

Es gab also strenge Maßstäbe und Vorgaben für Stillleben: Zu Früchten und Blumen gesellten sich Jagdstücke, symbolträchtiges Kleingetier und Gegenstände, deren Konnotationen seit langem überliefert waren. [2]

Es durften neben den Insignien des weltlichen Ruhms nicht die Symbole der Vanitas, der Eitelkeit, der Vergänglichkeit, Hinfälligkeit, des Todgeweihten alles Irdischen, des Verwelkens und Verblühens fehlen. Im Mittelpunkt stand immer die Botschaft Memento-mori, “Mensch, bedenke, dass du sterben musst”.

[1] vgl. blog1.institut1 – … ein’ Blum’ und fallend Laub

[2] vgl. Wikipedia – Stillleben – Symbole in barocken Stillleben

Gunhild Simon
Mrz 02 2010

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